Kris Longknife: Die Rebellin: Roman (German Edition)
Aufmerksamkeit.
»Aber möchten Sie hören, in welcher Hinsicht Brandons Idee richtig krank ist? Nachdem das Grearsonfieber so ziemlich jeden lebenden Menschen auf Olympia ausgerottet hat, bleiben die leeren Häuser, die Traktoren, die Scheunen zurück. Es bleiben die Farmen zurück, die tote Menschen durch ihre Lebensleistung aufgebaut haben. All das wird für symbolische Beträge aufgekauft werden. Und wenn die Konzerne ihre Arbeiter schicken, um Geld für sie zu scheffeln, dann erhalten sie da oben im Orbit …« Kris deutete hinauf. »… ehe sie landen, eine Impfung wie die, die mein Sanitäter Ihnen geben möchte, und dann spielt keine Rolle mehr, dass das Wasser hier mit dem Grearsonerreger verseucht ist. Der Impstoff hält die Leute gesund, damit sie ihr Leben lang für den Konzern schuften können. Ist das nicht witzig?«, fragte Kris spöttisch.
Niemand lachte.
Aufs Stichwort zückte der Sanitäter seine Impfpistole, schob eine Impfdosis hinein, wählte die Konzentration, prüfte seine Einstellung im Licht der einsamen Lampe, die im Haus brannte, und blickte sich um. »Wer möchte eine Impfung?«
Die Frau mit dem Baby legte die Jacke ab und bot ihm die nackte Schulter. Der Sani setzte die Impfpistole auf die Haut; der Wirkstoff wurde mit einem leisen Klicklaut hineingejagt. Die Frau zog die Windel des Kindes herab, damit der Sani die Impfung am Hinterteil vornehmen konnte. Ein zweiter Klicklaut ertönte. Sam hatte inzwischen seine Jacke abgelegt, Karen ebenfalls. Eine Schlange bildete sich.
Kris wandte sich zu Sam um. »Ich habe zwei Bergsteiger, die bereit sind, den Liebessprung zu ersteigen. Wie viel Seillänge haben Sie hier?«
»Reichlich.«
Kris blickte sich im Raum um. »Wer möchte meinen Leuten dabei helfen, diesen Berg zu erklettern?«
16
S o, Kris, wer steigt jetzt die Felswand hinauf, und wer bleibt hier unten?«, flüsterte Tom angespannt außer Hörweite irgendeines Ranchers. Der Flüsterton täuschte nicht über das Beben seiner Stimme hinweg.
»Du brauchst nicht zu gehen, wenn du nicht möchtest«, sagte Kris, die bereit war einzugestehen, dass sie Tom für einen Tag genug freiwillig gemeldet hatte.
»Lass den Mist, Longknife!«, schimpfte er, und der Zorn brachte Härte in den Flüsterton. »Einer von uns muss hierbleiben. Jemand muss den Menschen hier einen Tritt in den Hintern versetzen, wenn dieser Schlaumeier dort wieder mit etwas anfängt. Du bist dafür vermutlich besser geeignet. Wenn eine Longknife hierbleibt, zeigt ihnen das, dass sie nicht vergessen wurden.« Tom zuckte über die eigene Logik resigniert die Achseln. »Ich steige diese Felswand hinauf. Wenn sie es nicht schaffen, muss euch das hier unten jemand mitteilen. Und wenn ich oben ankomme, habe ich vermutlich wieder Netzkontakt und kann Hilfe rufen«, schloss er.
»Klingt logisch«, nickte Kris und achtete dabei auf einen gelassenen Tonfall.
»Ja, und warum gefällt es dir dann nicht?«
Kris fielen gleich ein Dutzend Gründe ein. »Da bin ich überfragt«, war jedoch alles, was sie sagte.
»Ich hätte die Flucht ergreifen müssen, als ich dich zum ersten Mal sah. Ich hänge ständig mit Longknifes herum und werde letztlich noch einen Orden erhalten. Das Letzte, was meine Mama zu mir sagte, war: ›Sieh bloß zu, dass du keineMedaillen erhältst. Wir haben hier alles an Metall, was wir brauchen.‹«
»Warum gehst du nicht nachsehen, ob du irgendwelche kleinen Leute unter diesem Berg findest, die dir hinaufhelfen?«
»Das ist kein Berg, das ist eine Felswand. Das Einzige, was man an solchen Orten antrifft, sind Oger. Kennst du dich mit dem Feenvolk nicht aus?«
»Vater hat mir zum Einschlafen Kabinettsprotokolle und politische Analysen vorgelesen. Hab nie Märchen gehört.«
»Was meinst du mit Märchen? Frau, Feengeschichten sind so real wie nur irgendeine politische Analyse.« Tommy zeigte jetzt wieder sein schiefes Grinsen.
»Dagegen weiß ich keinen Einwand. Also, du steigst den Berg hinauf, und ich halte den Kamin warm.« Bis ihn der Fluss überflutet , das ließ Kris ungesagt. Sie lachten gemeinsam über nichts Besonderes. Die Menschen ringsherum schienen daraus Mut zu schöpfen. Gemeinsam gingen Kris und Tom in den strömenden Regen hinaus.
Sam, José und die beiden Kletterer hatten ein Dutzend Männer und Frauen versammelt. Eine Frau brachte eine Thermoskanne mit heißem Tee mit. Während die Bergsteiger Seile, Hämmer und anderes Kletterwerkzeug packten, erläuterte Sam die Umrisse des Plans.
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