Kris Longknife: Die Rebellin: Roman (German Edition)
herauf, das an der Felswand festgemacht war oder an einem Baum oder was immer er gerade in Griffweite fand. Was war hier schiefgegangen? War das Seil gerissen? Lagen weitere abgestürzte Kletterer da draußen in der Dunkelheit? Kris knirschte mit den Zähnen und musterte zweifelnd ihren Kommlink. Ehe sie jedoch Tom belästigte, musste sie von diesem Toten alles erfahren, was er ihr berichten konnte. Sie bückte sich, ertastete eine Seilschlaufe und folgte ihr. Dazu musste sie die Leiche bewegen. Sie drehte sie mit festem Griff um.
»Gott, Lady, das ist Benny!«
»Sie weiß, was sie tut«, mischte sich Sam ein, während Kris weiter dem Seil nachging. Blut klebte daran und blieb an ihrer Hand hängen, aber sie machte weiter, bis sie das Ende unter Bennys verformtem Schädel erreichte.
»Das Seil wurde durchgeschnitten«, sagte sie. »Hatte Benny ein Messer dabei?«
»Natürlich hatte er das.«
»Sehen Sie es?« Die Leiche wurde erneut bewegt, diesmal jedoch behutsam von Menschen, die den Mann gekannt und geliebt hatten. Bennys Messer fehlte.
Kris stand auf, das Seilende in der Hand, und schluckte schwer ob der Botschaft, die sie den Umständen entnahm. »Er hat sich selbst losgeschnitten, als sich die Kiefer löste.« Kris hatte von dem Mut gekostet, den es erforderte, einen Orbitaljägereinsatz zu leiten, und sie hatte tief von dem Mut getrunken, der es möglich machte, aus allen Rohren feuernd in eine Schlacht zu stürmen, aber sie konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob sie von dem Teller hätte essen können, den das Schicksal Benny vorgesetzt hatte. Hätte sie sich losschneiden und dem langen Sturz überlassen können, um sicherzustellen, dass sie nicht ihre Kumpel mitriss?
»Kris, bist du da?«, meldete sich Tom aus dem Kommlink.
»Ja, Tom. Wie sieht es bei euch aus?«
»Eine Zeit lang war es ganz schön schlimm.«
»Ich stehe hier neben Benny.«
»Hieß er so? Gott …« Der Link übermittelte, wie Tom die Stimme versagte.
»… und schenke ihm deine Gnade«, beendete jemand neben Kris ein Gebet und kniete sich hin, um dem Toten die Augen zu schließen.
»Jedenfalls hatten wir schlimme Probleme, aber wir haben es jetzt alle überstanden. Die nächsten hundert Meter sehen so aus, als wären sie gut zu schaffen, aber ich sehe nach wie vor nicht das obere Ende. Wir sind alle durch das Seil gesichert. Ich melde mich später wieder. Ende.«
»Kris, Ende.«
Sie ließen Benny an Ort und Stelle liegen; wenn sie später genug Zeit hatten, wollten sie die Leiche an der Felswand hinaufziehen. Wie die ganze Klettermannschaft war Benny geimpftgewesen, aber Kris konnte nicht wissen, ob er vielleicht mit Grearson infiziert gewesen war. Falls ja, dann bezweifelte sie, dass der Impfstoff ihm in den wenigen Stunden seit der Impfung viel genutzt haben konnte.
Das Wasser reichte Kris schon bis an die Knie, als sie durch die Mulde zur Hütte zurückwatete. Das war der letzte Baustein zu ihrer Entscheidung: bei nur noch zwei Stunden bis zur Morgendämmerung gedachte sie, dafür zu sorgen, dass alle es so warm wie möglich hatten und sich auf den Weg zur Felswand machten. »Wie geht es den Kranken?«, fragte sie den Sanitäter, als sie die Hütte betrat.
Er schüttelte den Kopf. »Besorgen Sie mir einen Rettungsflug, und ich würde meinen letzten Dollar darauf setzen, dass sie alle überleben. Aber sie in den Regen hinauszubringen … Ich weiß es nicht.«
»Ich muss sie jetzt auf den Weg bringen. Wenn wir noch lange hierbleiben, kann ich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, dass sie alle das Wegende vor der Felswand erreichen.«
Der Sani schloss die Augen und ließ einen langen schmerzlichen Atemzug heraus. »Und wir müssen sie oder ihre Leichen diese verdammte Klippe hinaufbringen. Ja, Ensign, ich weiß, dass meine Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit die gegenüber meinen Patienten überwiegt. Verdammt! Ich weiß es! Das heißt aber nicht, dass es mir sonderlich gefällt.«
»Heute bietet sich uns nicht viel, was uns gefallen könnte, wie?«, fragte sie und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich lasse Planen zum Ende des Pfads bringen. Der Wind frischt auf, aber wir werden unser Bestes tun.«
Kris schickte sie in Gruppen von etwa fünf Personen in den Regen hinaus. Als sie eine Stunde später bemerkte, dass sie und Karen fast allein waren, überraschte sie das nicht. Eine ältere Frau war zurückgeblieben; sie hatte sich sehr um die Kinder gekümmert und irgendwie jede Gruppe versäumt, die sich
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