Kristall der Macht
Leben und Tod aufschwingst, solltest du prüfen, ob es wirklich so ist«, riet er. »Dieser Krieg ist nicht der unsere. Wir kennen die Geschichte dieses Landes nicht und auch nicht die Sicht der anderen Seite. Bedenke, dass Azenor ein König ist, der kurz davorsteht, einen Krieg zu verlieren. In dieser Lage wird er nach jedem Strohhalm greifen, der sich ihm bietet, und es mit der Wahrheit gewiss nicht so genau nehmen, um seine Ziele zu erreichen.«
»Das ändert nichts daran, dass diese Rakschun sein Land hinterhältig angegriffen haben«, beharrte Noelani. »Sie sind schuld daran, dass alles so gekommen ist, und sie sind auch schuld an dem, was aus diesem Angriff erwächst.«
»Auch das sind Azenors Worte. Es ist seine Sicht der Dinge.« Jamak schaute Noelani eindringlich an. »Deine Absichten mögen ehrbar sein, Kind«, sagte er sanft. »Achte darauf, dass deine Taten es auch sind.«
»Das werde ich«, Noelani nickte. »Vielleicht genügt es ja wirklich, dem Gegner zu drohen, damit er sich zurückzieht«, gab sie Jamak ihre Gedanken preis. »Dann wäre der Krieg zu Ende, ohne ein weiteres Opfer gefordert zu haben.«
»Das glaube ich nicht.« Jamak schüttelte den Kopf. »Diese Rakschun sind zu allem entschlossen.«
»Dann muss man ihnen eine deutlichere Warnung zukommen lassen.«
»Einen versteinerten Hund?« Jamak schaute Noelani prüfend an. »Oder mehr?«
»Ach, so weit wird es schon nicht kommen.« Noelani vermied es, Jamak anzusehen. Sie atmete tief durch und sagte betont locker: »Vertrau mir. Ich will doch nur das Beste für die Überlebenden unseres Volkes.«
»Gerade das ist es, was mir Sorge bereitet.« Jamak seufzte.
»Beruhigt es dich, wenn ich dir sage, dass ich heute Nacht eine Geistreise ins Lager der Feinde antreten werde?«, fragte Noelani. »Ich werde mich dort umsehen und mich auch in dem Lager vor der Stadt umhören, um zu erfahren, was das Volk von König Azenor hält.«
»Das ist ein guter Gedanke.« Jamak nickte zustimmend. »Es ist immer wichtig, beide Seiten zu kennen, wenn man eine Entscheidung treffen muss. Ich wünschte dennoch, wir hätten mehr Zeit, die Erfahrungen abzuwägen.« Er verstummte und fragte dann: »Es ist eine weite Reise. Soll ich bei dir bleiben?«
»Das musst du wohl.« Noelani machte eine ausladende Handbewegung. »Wir haben nur dieses eine Gemach.« Sie lächelte. »Außerdem ist es gut, dich an meiner Seite zu wissen.«
* * *
»Unfassbar.« Mit Staunen betrachtete Fürst Rivanon den versteinerten Hund, der seinen Platz neben König Azenors Thron gefunden hatte. »Und der hat heute Mittag noch gelebt?«
»Ein Page holte ihn eigens für die kleine Vorführung aus dem Zwinger.« Triffin nickte.
»Diese Maor-Say schicken uns die Götter.« Fürst Rivanon stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Er hatte den Thronsaal erst betreten, nachdem Noelani gegangen war, und war von General Triffin und dem König umfassend über die überraschende Wendung informiert worden. »Wenn wir es geschickt anstellen, kann sie das gesamte Heer zu Stein verwandeln, ehe auch nur ein Floß den Gonwe überquert hat«, sagte Rivanon, der offensichtlich bereits damit beschäftigt war, sich einen Plan auszudenken.
»Sie könnte«, korrigierte Triffin.
»Wieso könnte?«
»Weil sie sich Bedenkzeit erbeten hat«, erklärte Triffin. »Sie tut sich schwer mit dem Gedanken, auf diese Weise in den Krieg einzugreifen. Vor allem bekümmert es sie, töten zu müssen.«
»Aber Ihr habt doch gesagt, dass sie eingewilligt hat, uns zu helfen?« Fürst Rivanon schaute den König verwirrt an.
»Sie hat darauf bestanden, dass wir vorher einen Boten zu den Rakschun schicken, um diesen von der Macht ihrer Magie zu berichten und ihnen die Möglichkeit zum Rückzug zu geben«, sagte Triffin weiter. »Mir scheint, sie hofft noch auf eine friedliche Lösung.«
»Aber dazu ist keine Zeit!«, rief Rivanon aus. »Ein Bote ist zu Pferd mindestens zwei Tage unterwegs, und dann muss er auch noch den Gonwe überqueren. Selbst wenn alles gut geht, wird er mindestens fünf Tage unterwegs sein.«
»Das habe ich ihr auch gesagt, aber …« Er verstummte, weil die Tür geöffnet wurde und ein Page hereinhuschte.
»Was gibt es?« Azenor sah den Knaben missbilligend an.
»Ein Kurier vom Gonwe ist soeben angekommen«, berichtete der Page. »Er sagt, er habe eine wichtige Nachricht für General Triffin.«
»Ich komme.« Triffin erhob sich und meinte mit einem Seitenblick auf Rivanon: »Wir
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