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Kristall der Macht

Kristall der Macht

Titel: Kristall der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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vernichtet hat, bin ich frei.«
    »Das ist grausam.«
    »Es ist gerecht«, fauchte der Dämon, breitete die Schwingen aus und ließ den langen Schwanz so ruckartig durch die Luft peitschen, dass Kaori unwillkürlich zusammenzuckte. »Grausam ist, was mir angetan wurde. Seit Generationen schon warte ich darauf, dass der Nebel zurückkehrt und sein Werk vollendet. Tag um Tag, Jahr um Jahr, gefangen in der Einsamkeit dieser Welt ohne Aussicht auf Erlösung, fiebere ich dem Augenblick entgegen, da die Maor-Say endlich sterben wird, ohne dass es jemanden gibt, der ihren Platz einnehmen kann. Aber das Schicksal meinte es gut mit euch. Wann immer der Nebel aufzog, trugen die Winde ihn in eine andere Richtung. Nie hat er Nintau erreicht. Selbst als das Schicksal mir gewogen schien und der Nebel die Insel nach Generationen wieder umschloss, war mir das Glück nicht wohlgesonnen, denn die Maor-Say blieb am Leben, und ich muss nun …«
    »… weiter warten?« Endlich begriff Kaori, was der Dämon ihr sagen wollte. Die Bewohner von Nintau lebten allein und abgeschieden. Es gab für sie keine Feinde und somit auch kaum Hoffnung für den Dämon, dass eine Maor-Say unerwartet starb.
    »Genau.«
    »Das ist grausam.«
    »Dämonen sind so.«
    »Alle?«
    »Alle.« Er schien etwas zu überlegen, dann beugte er sich zu Kaori herab und zischte: »Ich schulde euch Menschen nichts. Im Gegenteil. Es ist nur recht, wenn ihr für das büßt, was eure Vorfahren mir angetan haben.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause und sagte dann: »Aber wenn dir so viel an der Rettung deines Volkes liegt, können wir einen Handel schließen: Du tötest die Maor-Say, und ich gebe dir im Gegenzug die Möglichkeit, dein Volk in Sicherheit zu bringen, indem ich dir die Herkunft des Nebels verrate.«
    »Ich soll Noelani töten?« Fassungslos starrte Kaori den Dämon an, nahm einen tiefen Atemzug und erwiderte nachdrücklich: »Niemals!«
    »Wie du meinst.« Die Gestalt des Luantar begann zu verschwimmen. »Ich habe schon so lange gewartet. Ich habe Zeit. Wenn du bereit bist, weißt du, wo du mich finden kannst.«
    »Warte!« Kaori machte ein paar Schritte auf den Dämon zu, dessen Gestalt sich schon fast aufgelöst hatte. »Das kannst du nicht machen«, rief sie. »Auch wir sind Opfer der Lüge. Auch wir haben dafür bitter bezahlt. Mit unserem Leben. Wir …«
    Sie brach ab und starrte den Felsen an, der nun wieder so unbeweglich vor ihr lag, wie er es schon seit Generationen getan hatte. Der Dämon würde ihr nicht mehr antworten. Er war fort.
     
    *  *  *
    »Tot?« Das hagere Gesicht des alternden Königs zeigte keine Regung, als er die Schreibfeder sinken ließ und zum ersten Mal, seit dieser den Raum betreten hatte, zu seinem obersten General aufschaute.
    Triffin erschauderte. In all den Jahren, die er König Azenor nun schon diente, hatte er sich nicht an den durchdringenden Blick der eisblauen Augen gewöhnen können, der bis auf den Grund der Seele zu reichen schien, dazu geeignet, jede Lüge sofort zu entlarven. Ein Blick, so unergründlich wie die Tiefen des Meeres. Ein Blick, der sich niemals änderte, ganz gleich, ob der König ein Todesurteil sprach oder Milde walten ließ. Ein Blick, den alle fürchteten.
    General Triffin war ein Mann der Ehre, gewissenhaft, aufrichtig und seinem König treu ergeben. Nie hatte er einen Grund gehabt, sich vor Azenor zu fürchten, dennoch war ihm das dumpfe Gefühl der Angst wohlvertraut, das sich immer dann wie flüssiges Eis in seiner Magengrube ausbreitete, wenn der König ihn anblickte. Diesmal jedoch war die Angst berechtigt. Denn dieses eine Mal würde er seinen König belügen.
    »Kavan starb als Held«, begann er den Bericht, den er sich in den zwei Tagen des einsamen Ritts durch die Steppe Baha-Uddins Wort für Wort sorgsam zurechtgelegt und so lange wiederholt hatte, bis er fast schon selbst daran glaubte. »Ich sah ihn auf der Festungsmauer gegen fünf Rakschun gleichzeitig kämpfen und wollte ihm zu Hilfe eilen …« Er senkte die Stimme gerade so weit, dass ein deutliches Bedauern darin mitschwang, und fuhr fort: »Aber ich kam zu spät. Ein hinterrücks abgeschossener Pfeil verwundete ihn tödlich, ehe ich ihn erreichen konnte. Aber er ging nicht zu Boden, nein. Von dem Pfeil durchbohrt gelang es ihm noch, drei der Angreifer mit in den Tod zu nehmen, ehe ihn die Kräfte verließen.« Er verstummte, als überwältigten die furchtbaren Bilder vom Tod des Prinzen ihn auch jetzt noch, und fügte

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