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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Winifred kannte das Geheimnis, wie man den Saft, den sie als dicken Sirup in Tierblasen aufbewahrte, gerade genug eindicken ließ, damit er nicht austrocknete. Illuminierungen mit dieser Farbe waren nicht nur eine Augenweide, sondern auch haltbar. Während Winifred den Blick aufmerksam über die Pulver und Mineralien wandern ließ, diese Rohmaterialien, aus denen lebendige Tiere auf einer Buchseite entstehen würden, musterte Simon sie heimlich von der Seite und fand, dass sie verändert aussah. Ihr Gesicht war von tiefen Schatten gezeichnet, und ihre Augen flackerten nervös. Er hatte die Oberin immer für ausgeglichen und ruhig gehalten, wenn auch ein wenig streng und humorlos. Aber dass sie einmal Besorgnis zeigen könnte, hatte er nicht für möglich gehalten. Winifred wählte ihre Einkäufe mit Bedacht. »Ich habe im Moment nicht das Geld«, erklärte sie dann. »Ich nehme an, Ihr haltet Euch noch ein wenig in der Nachbarschaft auf, wie Ihr das sonst immer tut?«
    Simon strich sich über den makellos gestutzten Bart und überlegte. Es war offenkundig, dass die Oberin sich die ausgesuchten Waren nicht leisten konnte. Wie wollte sie sie bezahlen?
    Gleichwohl, er würde ihr die Peinlichkeit dieser Frage ersparen –
    Simon wusste nur zu gut, wie wichtig es war, seinen Stolz zu wahren. Wenn sie sich doch nur dazu durchringen könnte, sich von dem einen oder anderen ihrer illuminierten Bücher zu trennen. Wie oft war er schon von vermögenden Herren in London gefragt worden, ob er nicht an Handschriften aus Portminster herankäme.
    Ein von Winifred illuminiertes Buch – und sie könnte alle Pigmente bekommen, die sie brauchte. Allerdings wusste er nur zu gut, dass sie sich von keinem dieser wertvollen Bücher trennen würde, denn ihrem Verständnis nach gehörten die Bücher dem Abt. »Nun, werte Dame, dann werden wir unsere Transaktion heute in drei Tagen abschließen.« Er wartete darauf, ob sie ihn wohl auf ein Ale und möglicherweise ein Stück Kuchen hereinbitten würde, und verstand ihr Zögern so, als dass sie zu überlegen schien. Stattdessen überraschte sie ihn mit der Frage, ob er als Alchimist wohl einen Gegenstand begutachten könne, der in ihren Besitz gelangt sei.

    In der Erwartung, den Zahn eines Heiligen oder ein vierblättriges Kleeblatt sehen zu dürfen, staunte Simon nicht schlecht, als sie ihm einen Kristall reichte, der so blau und tief leuchtete wie das Mittelmeer. Er sog hörbar die Luft ein, beschwor sich in seiner Muttersprache, dann hob er den Kristall an sein scharfes Auge, um ihn eingehend zu betrachten.
    Der Stein war so schön, dass es Simon die Sprache verschlug. In einer Zeit, da es als ruinös galt, einen Edelstein zu schleifen, weil man damit angeblich die Magie des Steins zerstörte, gab es kaum einen Edelstein von solcher Reinheit. Simon hatte nur wenige gesehen – einmal sogar einen geschliffenen Diamanten und hatte nicht glauben wollen, dass so ein wolkiger Kristall eine solche Brillanz in sich trug. Dieser Stein jedoch schien nicht geschliffen zu sein, er war glatt und tropfenförmig, kaum größer als das Ei eines Rotkehlchens, aber von einem spektakuläreren Blau. Konnte es ein Aquamarin sein? Er hatte einmal einen Smaragd aus Cleopatras Minen gesehen. Ebenfalls geschliffen und von einem das Auge betörenden Glanz. Aber nein, dieser hier war nicht so grün und rein wie jener Smaragd. Obwohl er den Stein nicht einzuordnen vermochte, spürte Simon instinktiv, dass er von großem Wert sein musste. »Ich kenne da jemanden in London«, schlug er vor. »Einen Edelsteinhändler.« Winifred hatte schon von London gehört. Die meisten Leute besaßen nur dürftige Kenntnis von dem, was über den Radius von fünf Meilen um ihre Heimstatt hinausging; einige wussten sogar von fremden Ländern, und das wenige, was sie über Fremde zu sagen vermochten, beschränkte sich darauf, dass die Wikinger, einst die Geißel Englands, blondbärtige Teufel von jenseits der Meere waren. Winifred wusste, dass London die größte Stadt im Süden Englands war, ein blühendes Handelszentrum, wo der König lebte. Ibn Aziz fügte hinzu: »London ist der richtige Ort, um so einen Edelstein zu verkaufen.«
    »Verkaufen!«
    »Aber gewiss.« Er gab ihr den Stein zurück. »Ist es nicht das, worum Ihr mich bitten wolltet?«
    »Amelias Stein verkaufen?«, fragte Winifred, als hätte er sie aufgefordert, sich einen Arm abzuhacken. Doch dann überwog ihr gesunder Menschenverstand. »Ist er denn so

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