Kristall der Träume
Wasser, Rosenkränze, Statuetten, Glücksanhänger, Süßigkeiten und Brot – und obendrein Nonnen mit Geldwechseln beschäftigt!
Während Oberin Winifred durch dieses bunte Treiben schritt, das eher einem Jahrmarkt glich, verwandelte sich ihr erster Schock in heiligen Zorn. An diesem Ort gab es keine Pietät, keine Würde, keinen Anstand. Der Abt hatte ihr versichert, dass die Ordensschwestern den Regeln des heiligen Benedikt folgten, aber Winifred entdeckte weder Bescheidenheit, Armut, Demut noch Schweigen. Als sie die Stufen zum Kapitelsaal hinaufging, konnte sie sich einer gewissen ironischen Erkenntnis nicht erwehren: Wohlstand zog Wohlstand an. Während es dem oberflächlichen Beobachter alsbald klar wurde, dass St. Amelia praktisch am Hungertuch nagte, überschüttete die Abtei dieses neue Kloster förmlich mit Geld, das zudem mit den Mitteln eines reichen Barons gegründet worden war, der seinerseits nicht geizte. Allein die Obstgärten! Winifred hielt sich die Hand an den knurrenden Magen, wie um ein nörgelndes Kind zu beruhigen. Sie spielte mit dem Gedanken, ein paar Äpfel für ihre hungrigen Schwestern zu stibitzen.
Der Kapitelsaal erschien Winifred wie das Wohnzimmer eines wohlhabenden Mannes, mit silbernen Kerzenständern, kostbaren Möbeln und Wandteppichen. Und als Oberin Rosamund auf sie zutrat, um sie zu begrüßen, erlitt Winifred einen zweiten Schock.
Und so geht die Geschichte: Als der Däne Knut der Große König über England wurde, überredete Oswald de Mercia seine Landsleute, den Lehnseid abzulegen. Für diese Tat wurde er mit Ländereien in der Grafschaft von Portminster belehnt. Als dann Knut, in seinem Eifer, der »christlichste König« zu werden, seine Absicht verkündete, neue Klöster zu erbauen, erbat Oswald sich die Gunst, ein Kloster zu Ehren seines neuen Lehnsherrn errichten zu dürfen.
Was den dänischen Eroberer schließlich überzeugte, war eine Geschichte, die Oswald ihm erzählte. Er sei, so ging die Erzählung, nach Glastonbury gereist, wohin ein gewisser Joseph von Arimatiha den heiligen Gral gebracht hatte. Oswald, der des Nachts allein am Wege kampierte, habe einen Traum gehabt, in welchem ihm der genaue Ort der kostbaren Reliquie enthüllt wurde. Tief in einer Höhle verborgen befand sich eine eiserne Kiste mit einem Stück vom heiligen Kreuz, von Joseph persönlich vergraben. Oswald hatte die Reliquie an sich genommen und in der Familienkapelle verwahrt.
Wie es sich ergab, hatte Oswalds älteste Tochter Rosamund, eine tief religiöse Frau, während der gesamten Kämpfe zwischen den Dänen und den Engländern um einen Sieg der Dänen gebetet, weil sie spürte, dass dieses Gottes Wille sei – wie Oswald betonte. Die Gebete der Tochter Rosamund und der Splitter aus dem Wahren Kreuz bewogen Knut in all seiner Güte, die Gründung eines neuen Klosters in seinem Namen zu gewähren.
Soweit die Geschichte. Die Wahrheit jedoch lautete anders: Oswald de Mercia, ein Feigling bis auf die Knochen, kämpfte auf der Seite des englischen Königs Ethelred, bis er erkannte, aus welcher Richtung der Wind wehte. Mithin wechselte er das Lager und verriet die Engländer. Was nun seine Tochter Rosamund anging, verabscheute sie Männer mehr, als sie fromm war, und da sie die Gesellschaft von Frauen vorzog, weigerte sie sich zu heiraten, so sehr ihr Vater sie auch zu bestechen suchte. Ebenso stark war ihr Drang nach Macht. So fand Oswald die perfekte Lösung: Sollte sie doch ein Kloster leiten. Natürlich keinen gewöhnlichen Konvent, sondern einen von Bedeutung. Und was würde sich besser eignen, eine Institution mit Bedeutung zu erfüllen, als eine sehr bedeutsame Reliquie in ihren Hallen zu hüten – und was könnte bedeutsamer sein als das Kreuz, an dem Christus selbst gestorben war? Natürlich hatte es keine Reise nach Glastonbury gegeben, keinen Traum, keine Höhle, keine Eisenkiste mit dem Wahren Kreuz. Das Reliquiar auf dem Altar in der Kapelle des neuen Klosters enthielt nichts als Luft.
Winifred stand nun also der neuen Vorsteherin des Konvents gegenüber, der St. Amelia in den Ruin trieb. Oberin Rosamund war auffallend jung. Sie konnte dem Orden seit höchstens sechs Jahren angehören. Winifred hatte es bald dreißig Jahre gekostet, bis sie zur Oberin aufstieg. Eine Strähne wunderschönen Goldhaars hatte sich der Enge der Nonnenhaube entzogen, und Winifred hegte den hartherzigen Verdacht, dass dies mit Absicht geschehen war. Sie stellte sich die eitle junge Frau vor einem
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