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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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immer noch vom Glück begünstigt, weil sie keine Bauern waren, die stets über ihre Kräfte hinaus arbeiten mussten und unter drückenden Pachtzahlungen litten. Isabella Bauer sagte oft zu ihrer Tochter, sie besäßen zwar kein Geld, aber doch ihre Würde.
    Und das Leben meinte es im Großen und Ganzen gut mit ihnen.
    Hinter dem Brauhaus lag ein kleiner, von Mauern umgebener Garten, wo Bruder Pastorius einigen Buben Lateinlektionen erteilte und Doktor Mahmoud seine Patienten empfing. Da das Licht draußen am besten war, saßen dort auch Katharina und ihre Mutter über ihren Näharbeiten, während der alte Araber, abgeschirmt von einem Paravent, den er aus seinem Zimmer heruntertrug, seine Patienten behandelte und Bruder Pastorius die Grundlagen des Lateinischen in die widerspenstigen Schädel einiger Kaufmannssöhne hämmerte. Gewöhnlich lief der Vormittag folgendermaßen ab: Katharina und Isabella stichelten an ihren feinen Mustern, die Luft war erfüllt von Vogelgezwitscher und dem Singsang der Lateinschüler, anima bruta, anima divina, anima humana… . hinter dem Paravent hörte man es hin und wieder husten.
    So kam es, dass die junge und aufgeweckte Katharina, während sie Rosen und Blätter auf Leinen stickte, ganz nebenbei die den Buben zugedachten Lektionen mitlernte: Leone fortior fides.
    Als Katharina nun angsterfüllt neben dem Bett ihrer Mutter kniete, wehte durchs offene Fenster das Vogelgezwitscher aus dem Garten herein, und plötzlich stieg in dem Mädchen eine düstere Vorahnung auf – die idyllischen Tage im Garten hatten fortan ein Ende.
    Nach einer langen Weile begannen Isabellas Lider zu flattern und öffneten sich. Ihr Blick war erst leer, dann erkannte sie Katharina, deren goldenes Haar wie ein Heiligenschein in der Sonne leuchtete.
    Isabella lächelte. Wie schön das Mädchen geworden war. Ihre Haare, früher hell wie Weizen, hatten eine tief goldene Tönung angenommen. Makellose Haut. Klare grüne Augen. Isabella hob eine Hand an die glatte Wange ihrer Tochter und mühte sich zu sprechen:
    »Gott hat beschlossen, mich zu ihm zu rufen, mein Liebes. Ich hatte geglaubt, ich hätte noch mehr Zeit… «
    »Mama«, schluchzte Katharina und presste die kalte Hand an ihr Gesicht. »Du wirst bald wieder wohlauf sein. Doktor Mahmoud wird dich gesund machen.«
    Isabella lächelte traurig und deutete ein Kopfschütteln an. »Ich weiß, dass mir nur noch wenige Minuten bleiben. Ich hatte gehofft, es wären Jahre, doch Gott in seiner Weisheit… « Katharina wartete.
    Doktor Mahmoud hielt seine dunklen Augen auf seine Patientin geheftet, Bruder Pastorius murmelte ohne Unterlass seine Bittgebete.
    Vor der Tür hatte sich eine neugierige Menge versammelt, doch Brauermeister Müller versperrte ihr den Zugang.
    Isabella schöpfte tief Atem und begann erneut zu reden. »Es gibt etwas, was du wissen musst, mein Kind, ich bin dir eine Erklärung schuldig… «
    Aus Katharinas Augen tropften Tränen auf das blutbefleckte Leintuch.
    »Dort«, flüsterte Isabella, »in der Kommode.« Sie deutete auf das einzige gute Möbelstück, das sie besaßen, eine Holzkommode, in der ihre Stoffe und Stickfäden, ihre Nadeln und Scheren untergebracht waren. »Die Schachtel mit den Bändern. Bring sie her zu mir.« Als Katharina mit der Schachtel ans Bett zurückkehrte, sagte Isabella:
    »Ich muss es… dir sagen. Katharina. Sei stark. Bitte Gott um Kraft.
    letzt ist die Zeit für die Wahrheit gekommen.« Das Mädchen wartete.
    Doktor Mahmoud beugte sich vor. Eine Biene flog durchs offene Fenster, summte in der Kammer herum und fand wieder den Weg hinaus.
    »Was ist denn, Mama?«, drängte Katharina behutsam. Tränen traten in Isabellas Augen, als sie hervorstieß: »Ich bin nicht deine leibliche Mutter. Du bist nicht meine leibliche Tochter.« Katharina starrte sie verständnislos an. Dann runzelte sie die Stirn. Sie sah zu Doktor Mahmoud und Bruder Pastorius hoch, der in seinen Gebeten innehielt. Hatte sie richtig gehört? »Es ist wahr, Katharina«, beharrte Isabella unter großer Anstrengung. »Du wurdest nicht von mir geboren. Eine andere Frau hat dich zur Welt gebracht.«
    »Mama, du bist nicht bei Sinnen. Doktor Mahmoud sagte, du hättest einen heftigen Schlag auf den Kopf bekommen.«
    »Ich bin bei vollem Verstand, Katharina. Und jetzt hör mir zu, denn ich habe nicht viel Zeit.« Isabella rang mühsam nach Luft, atmete aus und wieder ein. »Vor neunzehn Jahren löschte eine Seuche mein ganzes Dorf im Norden aus und

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