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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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eine Schwäche für Katharinas Mutter hatte; so bekamen sie auch immer reichlich Bier. »Die gehen nach Italien«, bemerkte Hans, als er die getrockneten Rohlinge in den Brennofen stellte. Katharina entging das ehrfürchtige Staunen nicht, mit dem Hans das Wort »Italien« aussprach, denn er sehnte sich danach, die Welt zu sehen. Für Katharina dagegen bestand die Welt aus Torbach und seinem Marktplatz mit dem Brunnen in der Mitte, den Läden und Fachwerkhäusern auf zwei Seiten und dem Brauhaus auf der dritten; die vierte Seite nahm das dreihundertjährige Rathaus mit seinem im Obergeschoss gelegenen Eingangsportal ein, zu dem eine Treppe hinaufführte, die bei Gefahr weggezogen werden konnte; daneben stand die karolingische Kirche aus dem achten Jahrhundert, deren Grundmauern, wie es hieß, auf die alten Römer zurückgingen.
    Dieser Marktplatz war Schauplatz für Jahrmärkte, Hochzeiten, Feierlichkeiten und gelegentliche Aufführungen religiöser Spiele; hier schlugen die Obst- und Gemüsehändler ihre Stände auf. Was konnte die Welt sonst schon noch bieten?
    Katharina wusste nicht, was jenseits der Biegung des Flusses oder am Ende der Straße oder auf der anderen Seite des Berges lag, und das war ihr auch völlig egal. Sie hatte weder von der Krönung Karls des Fünften in Aachen gehört, dem größten Ereignis seit der Krönung Karls des Großen, noch von jenem Augustinermönch Martin Luther, der wegen Verbreitung neuer und gefährlicher Ideen gerade vom Papst als Ketzer gebrandmarkt worden war und dessen
    »Thesen« sich dank der neuen Erfindung eines dritten Mannes namens Johannes Gutenberg wie ein Flächenbrand über Europa ausbreiteten. Katharina kannte nur ihre Stadt, den Wald, das Schloss und die Bürger von Torbach. Und das genügte ihr vollkommen. Als Hans einen Bierkrug von ihr entgegennahm, streiften sich ihre Finger, und sie sah, wie ihm die Röte in die Wangen stieg. Katharina selbst errötete nicht, denn die Liebe, die sie für den jungen Mann empfand, war nicht von der Funken sprühenden Sorte. Katharina war nicht einmal sicher, ob es jene Liebe außerhalb der Lieder und Gedichte und romantischen Geschichten überhaupt gab. Was für sie zählte, waren tiefe Zuneigung und das Gefühl inniger Vertrautheit.
    Da sie Hans schon ihr ganzes Leben lang kannte, war diese Liebe zusammen mit den beiden Kindern groß geworden, und als seine Eltern von Heirat sprachen, kam es Katharina nur natürlich vor, dass sie und Hans ein Paar würden. Ihrer Meinung nach wäre ihre Verbindung schon deshalb so passend, weil sie selbst sich zur gefragtesten Näherin Torbachs entwickelte und Hans einmal die berühmte Roth’sche Bierkrugmanufaktur übernehmen würde. Vor vielen Jahrhunderten hatten die Römer diese Gegend der Gesundheit wegen aufgesucht, zwecks Badekur in den hiesigen heißen Quellen.
    Die Quellen waren längst versiegt, hatten aber Tonböden hinterlassen und damit einen Rohstoff, der sich bestens zur Herstellung von Steingut eignete. Und so erlangte Torbach Berühmtheit für seine Bierkrüge. Jeder Krug begann als Klumpen rohen Tons, der geformt, mit dem Schnitzmesser bearbeitet und von Hand bemalt, anschließend gebrannt und glasiert wurde. Damit der Ton trocknete und der Krug die nötige Härte erhielt, wurden die Rohlinge viele Stunden lang im Trockenraum gelagert, bevor sie in den Brennofen kamen. Die gesamte Herstellung nahm mehrere Tage in Anspruch und verlangte viel Geduld. Das Geheimnis der Roth’schen Bierkrüge bestand in der langen Trocknungszeit: Je langsamer dem Ton das Wasser entzogen wurde, desto haltbarer die Krüge. Daher waren die Roth’schen Bierkrüge in ganz Europa und darüber hinaus äußerst begehrt, was bedeutete, dass Hans einmal sehr reich sein würde. Und dann könnte Katharina ihrer Mutter ein schönes Haus kaufen und dafür sorgen, dass sie nicht mehr arbeiten müsste. Die Arbeit des Vormittags war getan, und Katharina folgte Hans in die Werkstatt, in der die frisch gebrannten Bierkrüge mit Zinndeckeln versehen würden.
    Vor hundert Jahren waren Ärzte zur Erkenntnis gelangt, die Pest würde durch Fliegen übertragen, und um die Ausbreitung der Seuche zu verhindern, forderte ein neues Gesetz die Bedeckung aller Getränke. Ein abnehmbarer Deckel störte jedoch den Biertrinker in seinem Genuss, denn er brauchte zum Trinken zwei Hände. Eine Einhandlösung war gefragt, und so wurde der Klappdeckel mit Scharnier geboren, der das einhändige Biertrinken erlaubte und dem Gesetz

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