Kristall der Träume
von tausend fremdartigen Gerüchen durchzogen. Katharina entdeckte sogar einen
»Buchladen« – Druckwerke hatte sie zwar auch schon in Torbach gesehen, dessen Kirche stolz auf ihre mittels einer Druckerpresse hergestellte Bibel war –, doch nie hatte Katharina vor einer solchen Anhäufung von Büchern gestanden: Der Laden präsentierte einen Bestand von stolzen vierhundert Exemplaren! Katharina, die nie vom Reisen und von Abenteuern geträumt hatte, wurde von den Ereignissen schlichtweg überrollt. Sie fühlte sich seltsam hin- und hergerissen zwischen Trauer und Freude, es schmerzte sie, dass sie ihre Mutter verloren hatte und Torbach und Hans verlassen musste, gleichzeitig fieberte sie in heller Aufregung ihrer wirklichen Familie entgegen, die sie bestimmt bald kennen lernen würde.
Sie gingen zu den Schiffskontoren, wo Doktor Mahmouds Arabisch und eingerostetes Spanisch wenig weiterhalfen, Katharinas Deutsch und ihre Lateinbrocken aber gute Dienste leisteten. Leider stießen sie überall auf Ablehnung, mit den unterschiedlichsten Begründungen: Manche Kapitäne weigerten sich, Muslime zu befördern, andere duldeten keine Frauen an Bord, wieder andere nahmen überhaupt keine Passagiere mit. Das Leben eines Seemanns war von Angst beherrscht, doch gleich an zweiter Stelle kam der Aberglaube: Wenn ein Heide ein Schiff nicht zum Kentern brachte, dann ganz gewiss eine Frau.
Mit der Sonne sanken auch ihre Hoffnungen. Doktor Mahmoud schlug vor, sie sollten sich nach einem Quartier für die Nacht umsehen und es am nächsten Morgen erneut versuchen. Unschlüssig sah sich Katharina um. Was sollte sie tun? Während ihr Blick ziellos umherschweifte, erblickte sie auf einmal den Fremden. Er zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, weil er anders war als alle anderen im Hafen, obwohl sie den Grund dafür nicht genau hätte erklären können. Mit dem weißen gefütterten Wams, den blauen Kniehosen und den blauen Strümpfen musste er ein Edelmann sein. Er trug einen merkwürdigen, altmodisch anmutenden Umhang, weiß und in der Mitte mit einem blauen Kreuz bestickt, dessen Arme sich gabelten und in acht Spitzen ausliefen, wohl das Emblem eines religiösen Ordens. Kurz geschnittenes braunes Haar, gestutzter Bart über einer weißen Halskrause. Groß, drahtig. Ein elegantes Schwert hing an seiner linken Hüfte. Offensichtlich ein wohlhabender Mann.
Doch da lag etwas in seinem Gesicht, wie er auf die See hinausstarrte – etwas Geheimnisvolles, vielleicht war es auch Sehnsucht, jedenfalls zog es Katharina in den Bann. Unvermittelt drehte er sich um und erteilte einem der Träger einen Befehl, wobei Katharina einen Anflug von Trauer in seinen Augen wahrnahm.
Dieser Mann leidet unter einer Tragödie, dachte sie, von ihren eigenen Gedanken überrascht. Fremde hatten in Torbach selten ihre Aufmerksamkeit erregt und schon gar nicht ihre Phantasie entflammt. Anders dieser Mann, ohne dass Katharina wusste, warum.
Im selben Moment, als sie sich Doktor Mahmoud mit der Frage zuwandte, was sie jetzt bloß machen sollten, tauchten wie aus dem Nichts zwei wüste Gesellen auf, rempelten sie zur Seite und rissen ihre Bündel an sich. Katharina schrie auf und konnte den stolpernden Doktor Mahmoud gerade noch auffangen. Der Fremde im Mantel sah, was da gespielt wurde, und nahm sofort die Verfolgung auf.
»Halt, ihr Dreckskerle!«, brüllte er, als er die beiden eingeholt hatte, packte sie am Kragen und zerrte sie zurück. Die Diebe ließen ihre Beute fallen, entwanden sich seinem Griff und waren auch schon in der Menge verschwunden. »Seid Ihr verletzt?«, fragte der Fremde Katharina auf Lateinisch, der Universalsprache christlicher Reisender.
»Mit uns ist alles in Ordnung, vielen Dank, mein Herr«, antwortete Katharina, die heftig atmete, allerdings weniger wegen des Überfalls als wegen der plötzlichen Nähe des Fremden. »Ich bin Don Adriano von Aragon, Ritter der Marienbruderschaft. Ist der da ein Türke?« Er wies mit dem Kopf in Richtung Doktor Mahmoud.
Katharina schaute den Fremden mit großen Augen an. Aus der Nähe wirkte er sogar noch eindrucksvoller, nicht direkt schön, aber interessant. Und jener Anflug von Sehnsucht und Einsamkeit war noch deutlicher zu spüren. »Doktor Mahmoud stammt aus Spanien, wie Ihr selbst, mein Herr.«
Das schien ihn nicht weiter zu interessieren. »Wohin reist Ihr?«
»Nach Haifa und von da aus nach Jerusalem.«
Er betrachtete sie prüfend. Eine junge Frau mit Haaren wie gesponnenes Gold und der
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