Kristall der Träume
Unschuld eines Neugeborenen. Wieso befand sie sich in Begleitung eines alten Arabers, und wozu wollte sie nach Jerusalem? Das ging ihn zwar nichts an, doch als Marienritter hatte er gelobt, christlichen Pilgern auf ihrem Weg nach Jerusalem zu helfen.
»Ich kann Euch bis Haifa mitnehmen«, bot er an und fügte rasch hinzu: »Aber nur Euch selbst. Den Alten nicht.«
»Aber ich kann Doktor Mahmoud auf keinen Fall zurücklassen! «
Die Leidenschaftlichkeit, die in ihrer Stimme durchklang und aus ihren grünen Augen blitzte, überraschte Don Adriano. Blutsverwandt konnten die junge Blonde und der alte Araber nicht sein - was hatte sie bloß mit ihm zu schaffen? Don Adriano war kein Freund der Mauren. Seine Familie hatte bei ihrer Vertreibung aus Spanien mitgekämpft. Sein Vater war im Kampf gegen die Mauren gefallen.
Und die Bruderschaft mit Sitz auf einer Insel im griechischen Meer, der er angehörte, hatte sich der Aufgabe geweiht, das Heilige Land aus der Hand der Ungläubigen für die Christenheit zurückzuerobern.
Aber dann besann er sich auf die Pflicht seines Ordens: Er wollte dafür sorgen, die Christin auf ihrer Pilgerschaft zu unterstützen, und so gab er mit knappem Nicken sein Einverständnis: sollte der Alte eben mitkommen. Verantwortlich fühlte sich Don Adriano jedenfalls nicht für ihn.
»Wartet hier«, sagte er und ging mit großen Schritten davon, sein weißer Mantel mit dem blauen Kreuz blähte sich in der Brise.
Katharina beobachtete seine Unterhaltung mit einem Kapitän, die sich zu einem zornigen Streit auswuchs, da der Kapitän hartnäckig den Kopf schüttelte. Doch der hoch gewachsene Don Adriano, dessen hoher gesellschaftlicher Rang jedem sofort in die Augen sprang, konnte sich mit seinem herrischen Auftreten schließlich durchsetzen, der Kapitän gab mit einem widerstrebenden Nicken nach. Der Spanier kehrte zu ihnen zurück und erklärte: »Ich habe den Kapitän davon überzeugt, dass wir mit einem Muslim an Bord ein sicheres Pfand in der Hand hätten, sollten uns die Barbaren überfallen. Denn einen der Ihrigen werden sie unbehelligt lassen, seine Begleiter ebenso. Und dass Euer Freund auch noch Arzt ist, tut ein Übriges. In einem Punkt blieb der Kapitän allerdings hart: Seine Mannschaft duldet keine Frau an Bord. Seeleute sind ein abergläubisches Volk. Passiert etwas, wird man es Euch in die Schuhe schieben, Senorita. Der Kapitän nimmt Euch nur unter einer Bedingung mit: Ihr müsst Euch verkleiden.«
»Ich mich verkleiden? Als was denn?«
»Ihr werdet als der Enkel des alten Mannes reisen.« Don Adriano setzte sie in einer kleinen Schänke ab und gab dem Wirt eine Silbermünze, damit er sich um sie kümmere. Kurze Zeit später kehrte Don Adriano zurück und führte Katharina und Doktor Mahmoud in die Gasse hinaus. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie allein und unbeobachtet waren, reichte er Katharina ein Fläschchen mit einer übel riechenden schwarzen Paste. »Damit werdet Ihr Eure Haare färben«, sagte er und überließ sie der Arbeit.
Während Katharina das Färbemittel in ihre Kopfhaut und ihre langen Haare einmassierte, grub Doktor Mahmoud in den Tiefen seiner Reisetasche und beförderte eine Galabeya zutage, ein langes, gerade geschnittenes ägyptisches Gewand, das lose und formlos um den Körper hing. Es gelang ihm, aus Katharinas Schal einen einigermaßen ansehnlichen Turban zu wickeln, unter dem sie ihr frisch gefärbtes, hoch gestecktes Haar verbarg; alle losen Strähnen stopfte sie unter den Rand. Als sie fertig angekleidet war und hinter dem Stapel Fässer, der ihr als Sichtschutz diente, hervortrat, musterte Doktor Mahmoud das Ergebnis mit dem kritischen Blick des Arztes.
Die Rundung der weiblichen Brust zeichnete sich verräterisch ab.
Doktor Mahmoud zog eine aufgerollte Bandage aus seiner Arzttasche und forderte Katharina auf, ihre Brust so flach wie möglich an den Körper zu binden. Diskret drehte er ihr den Rücken zu, während sie ihre Maskerade vollendete.
Don Adriano kam ihnen schon entgegen, als sie zum Hafen zurückkehrten; ihm blieb vor Überraschung der Mund offen.
Katharina war so schlank und groß, ihre Verkleidung so gelungen, dass sie ohne weiteres für einen Knaben durchgehen würde. Don Adriano hatte inzwischen Wasserflaschen, Brot- und Käselaibe, Trockenfrüchte und getrocknete Rindfleischstreifen gekauft, denn die Passagiere mussten selbst für ihren Proviant sorgen. Die Sonne sank schon hinter den Horizont und die Matrosen
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