Kristall der Träume
ihm in Sicherheit sein. Bei eurer Ankunft wird er euch fürstlich entlohnen. Und wenn ihr Bulbul in die Obhut meiner Familie gebracht habt, dann seid ihr beide frei und könnt gehen, wohin ihr wollt.« Bagdad, Samarkand…
So weit von Jerusalem war das, so viele Meilen in die entgegengesetzte Richtung! Aber Katharina dachte an den kleinen Bulbul und dann an das Neugeborene, das vor fast neunzehn Jahren von einem Witwer zurückgelassen wurde, der sich auf die Suche nach einem blauen Kristall begab. Das traurige Schicksal des Kleinen ähnelte so sehr ihrem eigenen! Und sein Leben schwebte in höchster Gefahr.
»Herrin«, sagte sie, »mir fehlen die Worte, um meine Dankbarkeit dafür auszudrücken, dass Ihr Adriano gefunden habt und…« Asmahan hob abwehrend ihre kostbar beringte Hand. »Ich tue das für meinen Sohn und aus keinem anderen Grund. Pass gut auf ihn auf und erzähl ihm oft von mir.«
Katharina sah Adriano danach nicht wieder, denn als Mann durfte er Bulbul nur dann begleiten, wenn der Kleine in die Privatgemächer des Sultans gerufen wurde. Zu Asmahan aber ging Katharina mit ihrem Korb voller Seide und Stickgarn weiterhin jeden Abend, und am Morgen danach berichtete sie der Sultanin, dass sie mit der Rivalin über die anderen Konkubinen und die Haremspolitik geklatscht hatte. Sie fragte sich, ob die scharfäugige Frau ihre Verstellung durchschaute. Abends im Schlafsaal zog Katharina in ihrer Bettnische die Miniatur der heiligen Amelia mit dem Kristall hervor und spürte ihr Herz vor Hoffnung klopfen: Sehr bald wären sie und Adriano erneut in Freiheit, und sie würde sich aufmachen, den blauen Kristall und, so Gott wollte, ihre Familie zu finden. Zwei Tage vor der geplanten Flucht verbreitete sich eine Nachricht wie ein Lauffeuer durch den Palast: Safiyas Wehen hatten eingesetzt. Mit einem Schlag ruhte alles Tun und Treiben, alle warteten gespannt auf Neuigkeiten. Asmahan ließ Bulbul nicht von ihrer Seite, Katharina wartete im Schlafsaal auf ihren Einsatz. Dann war es soweit: Die Sultanin hatte einen Sohn geboren.
Die Zeit war ihnen davongelaufen. Im Augenblick selbst, als Safiya ihr Neugeborenes an die Brust gelegt bekam, berief sie sich auf ihr verbrieftes Recht, Asmahans Sohn in den Käfig sperren zu lassen. Unmittelbar darauf wurde die jüngere Konkubine von ihren Eunuchen und Wachen verlassen. An einen Moscheebesuch war überhaupt nicht mehr zu denken. In wenigen Stunden würden die Eunuchen der Sultanin kommen und Bulbul fortschleppen. Obwohl Adriano die Türken immer noch für gottlose Heiden und seine geborenen Feinde hielt, hatte ihm Asmahan das Leben gerettet und ihn mit Katharina wiedervereint; daher fühlte er sich zu ihrem Schutz verpflichtet. Zumindest zum Schutz ihres Sohnes, denn letztlich konnte er nichts tun, um die Konkubine zu retten. Mit der Hilfe ihres letzten treuen Eunuchen kletterte Adriano über die Gartenmauer; auf seinem Rücken war der tief schlafende Bulbul festgegurtet, der mit Mohnsaft versetzte Milch zu trinken bekommen hatte. So erklommen beide die Mauer, Katharina hinterher. Im Schutz der Nacht folgten sie dem Eunuchen durch das Labyrinth der Außenmauern und der den Palast umgebenden Parkwege bis tief ins Gassengewirr der Stadt. Vor ihrem Aufbruch hatte Asmahan Katharina eine kleine Holzschachtel voller islamischer Golddinare überreicht, der geltenden Währung des osmanischen Reichs. Sie waren sich in die Arme gefallen, Asmahan hatte ihren Sohn zum letzten Mal geküsst. Auf dem Weg zur Karawane dachte Katharina mit Grauen an das ihr nur zu gut bekannte Schicksal, das Asmahan erwartete, sobald ihr Betrug entdeckt wurde, eine Strafe, die für alle Frauen des Harems galt, die gegen die Regeln des Sultans verstießen: Sie würde mit einer Katze und einer Schlange in einen Sack gesteckt und in die Fluten des Bosporus geworfen.
Im Morgengrauen setzte sich die Karawane in Bewegung, ein Treck von tausend Kamelen, die Parfüms und Kosmetik aus Ägypten trugen und entlang der Handelsstraße noch buntes Glas aus Syrien und Pelze aus den eurasischen Steppen laden würden. Das alles wurde nach China transportiert, wo die Menschen eine Leidenschaft für diese Dinge besaßen und sie gegen Seide und Jade eintauschten, Waren, die wiederum zu den Völkern des Westens gebracht und dort reißenden Absatz finden würden. Entlang ihrer Route schlossen sich ihnen Unterhaltungskünstler auf dem Weg nach China an, Jongleure, Akrobaten, Sänger, Zauberkünstler; aus dem Osten kamen ihnen
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