Kristall der Träume
Mönche, Gelehrte und Forschungsreisende entgegen, deren Ziel Europa war. Zwar könnten sie unterwegs Wild erlegen, doch Katharina und Adriano nahmen Vorräte an Brot, Trockenfrüchten, Pökelfleisch und Hartkäse mit, dazu reichlich Trinkwasser. Sie genossen ihre Freiheit zu dritt über alles: Adriano, der Beschützer, Katharina, die Köchin, und Bulbul, ihr »Sohn«. Konstantinopel und seine Schrecken wichen immer weiter zurück, als sie in der Sonne und der frischen Luft dahinritten, sich gesundes Essen schmecken ließen und tausend Anlässe fanden, um miteinander zu lachen.
Langsam gewann Adriano seine Kraft und seinen Lebensmut zurück.
Sein Körper bekam wieder Muskeln, sein Geist funkelte wieder in seinen Augen. Katharina kam einmal darauf zu sprechen, dass er sich nicht gebunden zu fühlen brauche, sondern auch gleich nach Jerusalem gehen könne, er wäre nicht verpflichtet, sie auf der langen Reise nach Samarkand zu begleiten. Er brachte sie mit dem Gelöbnis zum Schweigen, dass er nicht von ihrer Seite weichen wolle, bis sie das Asmahan gegebene Versprechen erfüllt habe. Danach würden sie gemeinsam nach Jerusalem reisen. Die Karawane schlängelte sich ostwärts, und Katharina erlebte zum ersten Mal in ihrem Leben die Wüste und das Furcht erregende Wunder eines Sandsturms, der sich so plötzlich erhob, dass ein unachtsamer Reisender dem Tode preisgegeben war. Sie und Adriano lernten bald ihre Kamele aufmerksam zu beobachten. Wenn die Tiere plötzlich Laut gaben und ihren Kopf im Sand vergruben, hieß das: Sandsturm im Anzug, mochte der Tag auch noch so klar sein. Die Reiter umwickelten sich sofort Nase und Mund mit Tüchern, und unversehens war der Sturm da, gewaltig, ungestüm und im nächsten Moment auch schon wieder vorbei.
Meist übernachteten sie im Freien unter den Sternen, in Oasen und an Wegverzweigungen, doch manchmal machten sie auch in einer Garnison oder einer Karawanserei Halt, wo sie Gasthäuser und richtige Betten, Musiker und lebhafte Unterhaltung vorfanden. Sie zogen zwischen goldenen Sanddünen unter tiefblauem Himmel dahin, unter dahinfliegenden weißen Wolken, im Schatten smaragdgrüner Palmen, und die Reise nahm für Katharina, die Bulbul in den Armen hielt und mit ihm auf ihrem dahinschaukelnden Kamel eindöste, unwirkliche Züge an. Vor sich sah sie stets Adriano mit seinen breiten Schultern und dem geraden Rücken, ein Mann tiefer Überzeugungen und Gottesfurcht, aber auch von Geheimnissen umwittert.
Wann genau sie sich in ihn verliebte, konnte sie nicht mehr nachvollziehen. Vielleicht schon damals, als sie ihn im Hafen von Venedig zum ersten Mal erblickte. Oder als sie ihn an Deck des portugiesischen Schiffs beten sah. Oder als sie eng umschlungen auf einer einsamen Insel schliefen und sich vorkamen wie die beiden letzten Menschen auf dieser Welt. Wann und wo ihre Liebe für ihn begann, behielt sie für sich, denn Adriano musste seinen eigenen Weg gehen, genau wie sie den ihren. Niemals würde sie ihr Herz sprechen lassen, sondern ihre Liebe darin einschließen und sie in jenem besonderen Winkel pflegen, wo auch ihre Mutter, ihr Vater und sogar die tapfere Konkubine Asmahan ihren Platz gefunden hatten. Doch diese neuen Empfindungen erschreckten Katharina auch, denn für Hans Roth hatte sie eine solche Leidenschaft nie verspürt. Jetzt, wo jeder Blick Adrianos, allein schon der Klang seiner Stimme sie entflammte, konnte sie nicht begreifen, dass sie die Liebe einmal für ein romantisches Märchen gehalten hatte. Ihr Verlangen nach Adriano war stärker als der größte Hunger oder Durst, den sie je erlitten hatte, es war ein geistiges Sehnen, das sie Tag und Nacht verzehrte. Katharinas Liebe musste sich irgendwie Ausdruck verschaffen, und so kam sie auf den Gedanken, ihm einen neuen Umhang zu sticken. Auf dem Markt von Ankara erstand sie heimlich einen neuen weißen Umhang, Seidenfaden und Sticknadeln und arbeitete in jedem freien Moment am Werk ihrer Liebe, wenn Adriano mit den Männern jagen oder Feuerholz sammeln ging. Sie wusste, dass er tief in sich einen großen Schmerz verschlossen hielt.
Dass es ihr je gelingen würde, diesen Schmerz von ihm fortzunehmen, konnte sie nicht hoffen, doch sie schickte Gebete zum Himmel, der neue Mantel möge Adriano auch seelisch wieder aufrichten helfen.
Adriano beschäftigte ihre Gedanken nicht nur wegen ihrer wachsenden Liebe, sondern auch, weil ihr vieles an ihm unbegreiflich war und von Tag zu Tag unbegreiflicher wurde. Er hatte ihr
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