Kristall der Träume
den Mann gefunden, der den blauen Stein suchte.
Katharina hegte stets Zweifel, aber auch stets Hoffnung, und sie fragte: »Habt Ihr meinen Vater gefunden?«
»Wir bringen ihn sogar mit! «
Der Fremde wurde in den Garten der Ewigen Verzückung geführt, wo sich die Königliche Familie in gespannter Erwartung versammelt hatte. Katharinas Herz klopfte ihr vor Aufregung bis zum Hals, tausend Fragen schossen ihr durch den Kopf: Wird er es sein? Wie soll ich ihn ansprechen? Sind meine Brüder bei ihm? Und dann trat er durch das Portal. Katharina stieß einen Schrei aus. Als Erstes erblickte sie den Mantel, und obwohl er geflickt und mitgenommen und längst nicht mehr so weiß war wie am Smaragdfluss, wirkte er immer noch schön und würdevoll. Von Adrianos sonnengebräunter Haut stach sein schulterlanges weißes Haar ab. Seine Augen jedoch waren dunkel wie immer, und er hatte nicht das Gesicht eines alten Mannes, sondern das eines weit gereisten, welterfahrenen Menschen.
Alle sahen ehrfürchtig staunend zu, wie Katharina in seine Arme stürzte. Sie umarmte ihn wieder und wieder, und während ihr Tränen die Wangen herunterliefen, lächelte sie ihn unverwandt an. Nach einer Weile erzählte der sichtlich bewegte Adriano, wie er in Taschkent einem Mann begegnet war, der dieses kleine Gemälde herumzeigte. Da wusste er, dass sie lebte und er sie wiedergefunden hatte.
Katharina konnte die Augen nicht von ihm wenden, sie berührte seine Arme, spürte seinen festen Körper und dankte Gott für dieses Wunder. »Aber du bist doch am Smaragdfluss getötet worden! Ich habe es mit eigenen Augen gesehen!«
Adriano blickte sie lange an und nickte dann. Sie war immer noch seine Katharina, auch wenn sie nun fremd erschien in ihren Seidengewändern und ihrem zu einer Art exotischem Vogelkäfig aufgetürmtem blonden Haar. »In unserer Karawane war ein Mann, der es auf meinen Mantel abgesehen hatte. Während ich badete, stahl er ihn mir. Das wurde ihm zum Verhängnis, denn im selben Moment griffen die Kosch an. Ich wurde verwundet und wäre fast im Fluss ertrunken. Doch Nomaden fanden mich, nahmen mich in ihre Zelte mit und pflegten mich gesund.«
Der Himmlische Herrscher und Sommerrose, Lo-Tan und die Kinder bekamen mit, dass hier eine faszinierende Geschichte erzählt wurde; sie traten näher, damit ihnen nichts entging. Katharina übersetzte in Windeseile. »Als ich mich erholt hatte und von meinen Rettern Abschied nahm«, fuhr Adriano fort, »habe ich mich auf die Suche nach dir begeben, Katharina. Doch du warst spurlos verschwunden, ich hatte nicht den geringsten Anhaltspunkt, in welche Richtung du gezogen warst oder ob du überhaupt noch lebtest. Also ging ich nach Jerusalem, denn ich dachte, wenn ich dich irgendwo finden würde, dann dort. Ich suchte nach dem blauen Stein, aber er befand sich nicht mehr dort. Ich traf einen Mann, der mir von einem sächsischen Edelmann erzählte, dem Baron von Grünewald, der ebenfalls in Jerusalem nach dem blauen Stein gesucht hatte. Wir haben ihn um fünfzehn Jahre verpasst, Katharina.
Der Mann sagte, der Deutsche wäre nach Bagdad aufgebrochen, also folgte ich ihm dorthin. Die ganzen Jahre bin ich den Spuren deines Vaters gefolgt, in der Hoffnung, sie würden mich zu dir führen.«
»Du hast ihn nie gefunden?«
»Nein, aber dich habe ich gefunden.« Er lächelte. »Was ist mit deiner Bruderschaft? Wolltest du nicht zu ihr zurückkehren?«
»In Jerusalem hörte ich, die Türken seien auf unserer Insel eingefallen und hätten meine Bruderschaft bis zum letzten Mann niedergemetzelt.« Er verstummte. Dann nahm sein Gesicht einen Ausdruck an, als würde er seinen Zuhörern gleich ein wunderbares Geheimnis offenbaren. »Und jetzt höre mir genau zu, Katharina: Ich habe deinen Vater zwar nicht gefunden, aber ich weiß, wo er ist.«
Alle im Garten sogen hörbar die Luft ein, denn jeder wusste Bescheid über Katharinas lebenslange Suche. » Adriano, schnell, sag es mir!«, drängte sie ihn.
»In Taschkent begegnete ich einem Mann, der mir von einem Deutschen erzählte, einem Vater mit drei Söhnen, der ein kleines Bild genau wie deines mit sich herumtrug. Sie suchten nach einem blauen Stein und erfuhren, dass er an Mönche verkauft worden war, die ostwärts nach Kathay zogen, an den Hof des Kaisers. Dorthin folgte ihnen dein Vater, Katharina, nach China, und dort ist er wahrscheinlich immer noch.«
Speisen und Wein wurden aufgetischt, und die erstaunlichen Menschen in den knallbunten
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