Kristall der Träume
und seine Hand auf den Gegenstand legte, den er zeit seines Lebens gesucht hatte, erschöpfte sich mit seinem Lebensziel auch die Flamme seines Lebens selbst. Mit dem Versprechen auf den Lippen, nach Hause zurückzukehren und seine Tochter zu sich zu holen, starb Johann von Grünewald im fernen China.
Von China reiste der blaue Kristall auf einem Gewürzschiff nach Holländisch-Indonesien weiter. Der romantische Kapitän des Schiffs taufte den Edelstein, der jeden Bezug zu christlichen Heiligen verloren hatte, Stern von Kathay und schrieb ihm einen Liebeszauber zu, der hoffentlich eine gewisse junge Dame in Amsterdam dazu bewegen würde, seine Frau zu werden.
Vor der Küste Indiens wurde das Gewürzschiff gekapert, der Kapitän in die Sklaverei verkauft und der Stein zu einem Tempel in Bombay gebracht. In die Stirn einer Götterstatue eingelassen, erlangte er eine Weile einen gewissen Ruhm als Auge Krischnas.
Doch während eines Religionskriegs wurde der Tempel geplündert, der Stein wieder herausgebrochen, von einem holländischen Kapitän nach Amsterdam gebracht und an den Juwelenhändler Hendrick Kloppmann verkauft. Dieser identifizierte ihn anhand gewisser Briefe, die der Kapitän des Gewürzschiffs einst mit der Bitte an die Juweliersgilde gerichtet hatte, den Wert des Steins für ihn zu schätzen, als den Stern von Kathay. Aus den Briefen schloss Kloppmann weiterhin, dass der verliebte Kapitän den Kristall einer gewissen jungen Dame in der Keizersgracht hatte schenken wollen.
Als ehrbarer, gewissenhafter Mann machte Kloppmann die Dame ausfindig und überbrachte ihr das Juwel. Die Dame war inzwischen nicht mehr ganz so jung und über jeden Wunsch einer Verehelichung hinaus; sie nahm den Stein mit Gleichmut entgegen, erklärte, sie hätte nur noch vage Erinnerungen an jenen unglückseligen Kapitän des Gewürzschiffs und verkaufte den Stein postwendend an Kloppmann zurück, der ihr so viel Geld dafür bot, dass sie ihren eigenen Stoffladen eröffnen konnte, was ihr lebenslange Unabhängigkeit von Männern bescherte. Kloppmann reiste nach Paris, wo er zehnfachen Gewinn aus dem Stein zu schlagen hoffte; er setzte auf die romantische Vorgeschichte des Sterns von Kathay und verbrämte sie noch mit einem erfundenen Entstehungsmythos: Ein Magier am Kaiserhof von China sollte den Kristall aus den Gletschern des Nordens, Drachenknochen, dem Blut eines Phönix und dem Herz einer Jungfrau erschaffen haben.
Und in Paris gab es tatsächlich nicht wenige, die ihm Glauben schenkten.
SIEBTES BUCH
Die Insel Martinique
Im Jahre 1720
Brigitte Bellefontaine hatte ein Geheimnis.
Es ging um verbotene Liebe mit einem glutäugigen Draufgänger.
Sie versuchte nicht daran zu denken, während sie an ihrem Frisiertisch saß und sich die Haare bürstete, denn mit jedem Tag fühlte sie sich schuldiger.
Ein rasselndes Geräusch riss sie aus ihren Gedanken. Im Spiegel sah sie ihren Ehemann Henri schnarchend auf dem Bett liegen.
Wieder einmal betrunken.
Brigitte seufzte. Es gab nichts Schlimmeres als einen Franzosen, der keinen Wein vertrug.
Dabei hatte er ihr doch sein Versprechen gegeben. Wenn ihre Gäste gegangen wären, würde er ihr eine besondere Nacht unter den Sternen bereiten, hatte er beteuert. »Wie in den alten Zeiten, ma chérie, als wir noch jung und verliebt waren.« Dann waren die Gäste eingetroffen, das Diner hatte seinen Lauf genommen, und der Wein strömte und strömte. Und nun lag Henri breit auf dem Bett, die Perücke verrutscht und die Weste voller Spuren des abendlichen Menus.
Brigitte ließ die Haarbürste sinken und schaute sinnend auf das Schmuckstück, das sie am Abend getragen hatte: eine exquisite Brosche aus Weißgold mit einem blauen Stein in der Mitte, von Diamanten und Saphiren eingefasst. Der Stern von Kathay, der ihr in ihrer jugendlichen Naivität einst so voller romantischer Versprechen zu sein schien.
Der Stern von Kathay sollte Liebe und Romantik in das Leben seiner Trägerin bringen, hatte die Zigeunerin ihr vorhergesagt. Nun, das hatte er auch… zumindest eine Zeit lang. In Brigittes Hochzeitsnacht hatte sich Henri (der jetzt auf dem Bett schnarchte) als phantastischer Liebhaber erwiesen und die siebzehnjährige Brigitte vor Glück selig erschauern lassen. Doch nun, zwanzig Jahre und sieben Kinder später, hatte sie alle Hoffnung aufgegeben, je wieder eine solche Leidenschaft erleben zu dürfen. Henri war ein guter Ehemann, nur fehlte es ihm mittlerweile an Feuer. Und Brigitte
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