Kristall der Träume
angemessene Behausungen finden?
Als er seinen Beschluss verkündete, erhob sich ein Sturm des Protests. Laliari jedoch erkannte die Weisheit seines Entschlusses und bot an, Bellek zu begleiten.
Also sammelten sie Nahrung und Wasser und verbrachten den Tag in spiritueller Vorbereitung. Mit zaubermächtigen Amuletten behängt, brachen sie schließlich auf. Während die Frauen und Kinder ihnen schluchzend Abschiedsworte zuriefen, machte sich das Paar tapfer vom See aus nach Westen hin auf. Gegen Mittag rasteten sie kurz am Fuße der Berge. Dann ging Laliari voran, suchte den leichtesten Aufstieg zwischen den Felsen und half Bellek beim Klettern. Sie fanden einen schmalen Trampelpfad, der zu den Höhlen führte. Tierknochen und Steinwerkzeuge deuteten darauf hin, dass hier einmal Menschen gelebt hatten. Während ihres Marsches sang Laliari laut, und das weniger, um die Geister zu besänftigen denn als Warnung an eventuelle andere menschliche Wesen. Wenn hier wirklich Menschen lebten, wollte sie sie nicht überraschen oder gar erschrecken. Wenn sie aber ihre Anwesenheit durch Lärm bekundeten, bedeutete dies, dass sie nichts zu verbergen hatten und in freundschaftlicher Absicht kamen. Sie fanden jedoch keine Menschenseele.
Die Kalksteinhöhlen führten tief in den Fels, sie waren dunkel und nur von prächtigen Stalagmiten behaust. In jeder Höhle stießen Laliari und Bellek auf Hinweise, dass Menschen hier gelebt und sogar gut gegessen hatten – sie fanden steinerne Faustkeile, Hackmesser und Meißel sowie Tierknochen von Pferd, Rhinozeros und Wild. Die Vorgänger hatten stets verkohlte Feuerstellen und, in einigen Fällen, rätselhafte Felszeichnungen hinterlassen. Wohin sie gezogen waren, konnten die beiden Entdecker nur raten. Nachdem sie einen Tag lang die Höhlen erforscht hatten, verließ Laliari und Bellek allmählich der Mut. Obwohl sich hier ein vortrefflicher Unterschlupf bot – schließlich hatten andere Menschen hier auch gehaust –, war genau das der Grund, warum Bellek seinen Clan hier nicht herbringen wollte. Die Höhle ihrer Wahl musste (von Menschen wie von Geistern) unberührt sein, weil sie sonst großes Unglück auf sich ziehen würden.
Beim zweiten Sonnenuntergang setzte leichter Nieselregen ein, der die Felsen glatt und schlüpfrig werden ließ. Als sie sich an einem Abhang entlang zu einer weiteren Höhle vorkämpften, verlor Bellek den Halt und wäre gestürzt, hätte Laliari ihn nicht aufgefangen. Sein Schienbein war von der scharfen Felskante aufgeschlagen. Laliari half dem alten Mann weiter, bis sie endlich in einer trockenen, warmen Höhle Schutz vor dem Regen fanden.
Hier entdeckten sie nicht nur Hinweise auf menschliches Leben, sondern auch die Reste einer Feuerstelle. Als ihnen der Geruch von kürzlich gekochtem Essen in die Nase stieg, überwog ihr rasender Hunger ihre Angst vor Fremden. Sie blickten sich nur hastig nach eventuellen Höhlenbewohnern um – die Höhle schien verlassen zu sein – und begannen nach Nahrung zu suchen. An einer Stelle im Boden, die frisch umgegraben zu sein schien, erinnerte sich Laliari daran, dass manche Menschen Fleisch im Erdboden zu lagern oder zu »würzen« pflegten. Sofort fiel sie auf die Knie und begann zu graben. Bald ertasteten ihre Finger eine weiche und zugleich feste Materie, die sich wie ein Tier anfühlte. Sie nickte Bellek siegesgewiss zu. Mit etwas Glück würden sie zu essen haben. Dann schob sie die restliche Erde beiseite, aber als sie sah, was da begraben lag, entfuhr ihr ein Schrei des Entsetzens, und sie sprang auf. Bellek kam angehumpelt und starrte in die Grube. Ein kleiner Junge lag mit an die Brust gezogenen Knien auf der Seite. Um ihn herum waren Steinwerkzeuge und Ziegenhörner angeordnet, und sein Körper war mit Hyazinthen- und Eibischblüten und Kiefernzweigen bedeckt. Zurückweichend malte Bellek hastig ein Schutzzeichen in die Luft. Sie standen unmittelbar vor einem jüngst verstorbenen Kind!
Laliari wandte sich mit angsterfüllten Augen zu dem alten Mann um, doch bevor sie ihn noch fragen konnte, was sie jetzt tun sollten, stürzte eine schwarze Gestalt in die Höhle, riesig und behaart. Sie warf sich auf Laliari und riss sie zu Boden.
Trotz heftiger Gegenwehr wurde Laliari mit der Bestie in einen harten Kampf verwickelt. Gerade als sie mühsam auf die Füße gekommen war, wurde sie am Knöchel gepackt und festgehalten.
Dann fasste die Bestie sie um die Taille, hob sie hoch und schleuderte sie mit
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