Kristall der Träume
früher bei den Jägern, und jedermann liebte sie. Von Eifersucht gepeinigt, konnte Keeka das nicht länger ertragen.
Die Art ihrer Rache musste jedoch sorgfältig überlegt sein.
Laliari durfte nicht wissen, dass Keeka sie getötet hatte, sonst würde ihr Geist Keeka lebenslang verfolgen. Wie aber sollte man eine Frau töten, ohne dass sie einen erkannte? Allen denkbaren Methoden - mit einem Speer erstechen, mit einer Keule erschlagen oder von den Felsen stürzen – fehlte die notwendige Anonymität. Außerdem ließ sich die Cousine gewiss nicht so leicht täuschen wie Alawa. Bevor Keeka zu der Alten ins Zelt gekrochen war, um sie zu erwürgen – sie musste das tun, nachdem sie Alawa belauscht hatte, wie sie Bellek erklärte, dass sie die Knaben, Keekas Knaben, würden töten müssen
–, hatte sie sich das Gesicht mit Schlamm verschmiert, die Haare unter Blättern versteckt und der alten Frau vorgespielt, sie sei ein Geist. Laliari jedoch verfügte über gesunde Augen und einen scharfen Verstand, sie würde wissen, von wem der Angriff kam.
Die Frauen waren damit beschäftigt, Frühlingspflanzen zu sammeln. In ihrer neuen Heimat hatten sie sich einem anderen Rhythmus der Jahreszeiten angepasst. So wurde ihr Leben nicht mehr wie früher von der jährlichen Überschwemmung, sondern von einem Zyklus aus Herbstnebel, Winter und Schnee, blühendem Frühling und Sommerhitze bestimmt. Sie hatten sich die Gewohnheiten der Zugvögel und Wandertiere eingeprägt und gelernt, wann und wo essbare wilde Früchte und Gräser zu ernten waren. Nachdem ihre Grasröcke keinen Schutz vor der Eiseskälte boten, hatten sie gelernt, Umhänge und Beinkleider aus Tierhäuten zu fertigen. In den Wintermonaten zogen sie sich in die warmen, trockenen Höhlen der Kliffs zurück, um im Frühling dann neue Hütten am Ufer des Süßwassersees zu errichten.
So kam es, dass Keeka, während sie mit den anderen Frauen auf Nahrungssuche war, auf eine Pflanze stieß, die sie noch nie gesehen hatte. Ihr Ursprung lag weit im Norden in den Bergen eines Landes, das eines fernen Tages Türkei heißen sollte. Die Samen dieser Pflanze waren über die Jahrhunderte von Wind und Vogelschwingen über Land getragen worden und hatten schließlich am Ufer des Sees Genezareth Wurzeln geschlagen. Keeka setzte ihre Körbe und Grabstöcke ab und hielt inne, um die unbekannten roten Stängel und breiten grünen Blätter zu betrachten. Der Clan hatte in diesem Tal manch neue Nahrungsquelle entdeckt, so überraschte auch diese Pflanze nicht. Als Keeka sich jedoch bückte, um sie auszugraben, erstarrte sie.
Zwischen den Pflanzen lagen überall tote Nagetiere. Erschrocken zuckte Keeka zurück. Hier waren böse Geister am Werke! Während sie ein Schutzzeichen schlug und hastig eine beschwörende Formel murmelte, erweckte etwas an den toten Tieren ihre Aufmerksamkeit, und sie trat näher.
Nach einer Weile kam sie zu dem Schluss, dass die Tiere vor ihrem Tod an den Blättern dieser Pflanze genagt haben mussten.
Eines lebte sogar noch und wand sich in Krämpfen. Es zuckte noch einmal, dann war es tot. Aus Furcht vor dem giftigen Geist dieser Pflanze wich Keeka zurück, und eine unerwartete Vision nahm plötzlich Gestalt an: Sie sah Laliari wie die Nagetiere am Boden liegen, vom bösen Geist der Pflanze getötet. Jetzt hatte Keeka ihr Racheinstrument.
Aufgeregt eilte sie ans Wasser und beschmierte ihre Hände mit frischem Schlamm. Unter beschwörenden Gesängen zog sie die Rhabarberstängel aus dem Boden. Als sie sich die Hände wieder sauber wusch, freute sie sich über ihre Gewitztheit, denn sie persönlich würde in der Tat keine Schuld am Tod der Cousine treffen, nur den bösartigen Geist in der Pflanze. Während sie ihren Korb mit dem tödlichen Inhalt schulterte, malte sie sich das Leben ohne Laliari aus und dachte lächelnd daran, wie sie Doron in ihre Hütte locken würde.
Die ersten Versuche des Clans, Tierhäute zuzurichten, scheiterten kläglich – die Häute wurden hart und steif und ließen sich nicht strecken oder dehnen, und so hatten Laliaris Leute ihren ersten Winter frierend in den Höhlen gesessen. Laliari erinnerte sich jedoch an Zants weiche, geschmeidige Felle, und so experimentierte sie mit den anderen Frauen den folgenden Sommer lang, bis die Häute tragbar wurden. Dann bastelte sie Nadeln aus Knochen, um die Häute mit Hilfe von Pflanzenfasern zu säumen. So kam es, dass sie nun in einem langen Kasack aus warmem, weichem Ziegenleder, die
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