Kristall der Träume
unruhig zum Horizont wanderte.
Während die Männer des Clans den Neuankömmling nur zu gerne weiterziehen sahen, schließlich gelüstete es sie selbst nach Talitha und Serophia, sahen die beiden Frauen das anders. Jede wollte den Jäger auf Dauer für sich allein.
Der nun einsetzende Wettkampf sorgte den ganzen Sommer lang für Unterhaltung und war noch Jahre später Gesprächsstoff. Talitha und Serophia führten einen Feldzug, dem die Jäger die allerbeste Taktik bescheinigten, um den hocherfreuten Bazel, der seine Zeit zwischen Zelt und Hütte verbrachte und seine Gunst so gerecht wie möglich aufteilte. Nie war er so gut bekocht worden, nie hatte er so viel Sex genossen. Es war ein Sommer, den er nie vergessen würde.
Doch dann nahte der Tag, an dem sich die jährliche Zusammenkunft auflösen und die Clans in ihre Winterquartiere ziehen würden.
Talitha und Serophia wurden immer bedrückter, denn Bazel hatte sich noch nicht entschieden.
Keiner vermochte hinterher zu sagen, was genau geschehen war.
Die Beschuldigungen kamen von allen Seiten: Die einen sagten, Talitha hätte den bösen Blick auf Serophia geworfen, die anderen behaupteten, Serophia hätte Talitha mit einem schlimmen Zauber belegt. Auf jeden Fall erkrankten beide Frauen an der roten Ruhr, die beim Wasserlassen schmerzte und den sexuellen Verkehr unmöglich machte. Weder die Wahrsager noch die Schamanin wussten Rat oder Hilfe. Fest stand nur, dass die beiden Frauen von einem bösen Geist besessen waren. In einer Neumondnacht beschloss Bazel fortzugehen, ehe man ihn beschuldigte, den bösen Geist unter die Frauen gebracht zu haben, schulterte seinen Speer, schlüpfte aus dem Lager und ward nie mehr gesehen. Während die Clans zu ihren angestammten Stätten im Norden und im Westen zogen, ging es den beiden Frauen sehr schlecht. Sie gaben einander die Schuld an dem Unglück und entwickelten einen abgrundtiefen Groll, der noch Jahrhunderte später nachwirken sollte.
»Und somit kommen wir zum Sommer der Trauben«, leitete der Geschichtenzähler dann immer das folgende Kapitel ein. »Der Sommer, in dem der ganze Ärger begann.«
Der Jäger Bazel war mittlerweile vergessen, der gegenseitige Hass der Frauen schwelte jedoch weiter. Mit den Jahren hatten beide an Ansehen in ihrem Clan gewonnen. Beide hatten eine ansehnliche Zahl von Kindern in die Welt gesetzt und waren nunmehr geachtete Großmütter in der Blüte ihrer späten Mondenphase. Talitha hatte mittlerweile eine recht gedrungene Figur, schließlich floss in ihren Adern das Blut von Zant, Serophia aber war immer noch schlank, ohne dabei gebrechlich zu sein. Beide waren aus hartem Holz geschnitzt und unbeugsam in ihrem Wesen. Mit den Jahren wurde ihre Rivalität zur Legende und sorgte beim täglichen Klatsch stets aufs Neue für Heiterkeit.
Spione wurden hin und her geschickt. Sagte etwa Serophia:
»Wenn ein Mann zwischen Talithas Beinen liegt, schläft sie ein«, so konterte Talitha: »Wenn ein Mann zwischen Serophias Beinen liegt, schläft er ein! « Selbst Männer, die gerade keine Beziehung zu einer Frau unterhielten, die im Gemeinschaftszelt lebten und sich kaum für Frauengeschichten interessierten, nahmen Anteil. Punkte für die eine oder andere Partei wurden gegeben, Wetten abgeschlossen. Bei jeder jährlichen Zusammenkunft gehörten die neuesten Klatschgeschichten aus dem Talitha-Serophia-Kampf zur nächtlichen Unterhaltung an den Lagerfeuern.
Ein zufällig grassierendes Fieber sollte die Pattsituation im legendären Sommer der Weintrauben beenden.
Talithas Clan war durch ein frühes Sommerfieber unter den Kindern auf seinem Weg vom Norden aufgehalten worden, und so erreichte Serophias Clan zuerst die Quelle im Süden. Da Serophia Talithas Leidenschaft für Weintrauben kannte, hieß sie die Frauen, den gesamten wilden Wein zu ernten, und tauschte die Trauben bei anderen kleineren Clans gegen Flachs aus dem Süden oder Salz aus dem Osten ein. Bis Talitha mit ihrem Gefolge eintraf, waren alle Weinstöcke abgeerntet und die Trauben verkauft. Als sie erfuhr, was sich zugetragen hatte, wurde sie von kalter Wut gepackt. Sie marschierte sofort zu Serophias Zelt und explodierte beim Anblick der frischen Traubenflecken auf Serophias Hirschlederrock. »Du lässt dich von Ziegenböcken besteigen!«
»Skorpione rennen weg, wenn sie dich kommen sehen«, zischte Serophia.
»Aasgeier würden deinen Kadaver nicht anrühren!«
»Wenn eine Schlange dich beißt, muss sie sterben!« Die Familien
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