Kristall der Träume
mehr Sklaven, die Brot an das Volk verteilten.
Cornelius brannte darauf, eines Tages Konsul zu werden. Dann würde er im Rang nur noch unter dem Kaiser stehen und in die Geschichte eingehen. Brotlaibe und Zeltplanen waren dafür ein geringer Preis. Er dachte an Amelia, die vor seiner Tür wartete. Der einzig wahre Besitz eines Mannes war sein guter Ruf. Nahm man ihm seine Güter, seinen Besitz und seine Erfolge, blieb immer noch sein Name, und den zu verteidigen war das höchste Recht. Und die schlimmste Demütigung für einen Mann in Rom war, dass man über ihn lachte. Zielscheibe des Spotts zu sein war nichts für Cornelius Gaius Vitellius, in dessen Adern edleres Patrizierblut floss als in denen des Kaisers (Cornelius würde sich hüten, Nero je daran zu erinnern). Seine untreue Ehefrau ins Exil zu verbannen wäre zu einfach gewesen, eine Lösung für Schwächlinge. Cornelius zeigte den Römern, aus welchem Holz er geschnitzt war, indem er seine Ehefrau behielt und an ihr ein Exempel für andere Frauen statuierte.
Ihre Ehe war eine Vernunftehe, es ging um die Vereinigung zweier mächtiger Familien. Mit elf beziehungsweise acht Jahren waren Cornelius und Amelia einander versprochen worden, acht Jahre später waren sie verheiratet und innerhalb von fünf Jahren zum ersten Mal Eltern. Nach ihrem Erstgeborenen, der nach dem Vater benannt wurde, folgten weitere Schwangerschaften, die mit Fehlgeburten, Totgeburten und gesunden Kindern endeten – die normale Mischung. Im Laufe der Jahre festigte Cornelius seinen Ruf als begnadeter Rhetoriker und erfolgreicher Anwalt, und Amelia erwies sich als Mustergattin. Konnte ein Mann noch mehr verlangen? Aber dann hatte sie sich mit Neros Mutter Agrippina angefreundet, der einflussreichsten Frau im römischen Reich – einer Frau, die einmal die Spiele in Gewändern aus puren Goldfäden besucht und damit die Zuschauer buchstäblich geblendet hatte.
Agrippina lebte nicht mehr, den Göttern sei Dank, aber Cornelius würde nie die Demütigung vergessen, die er sechs Jahre zuvor im Zirkus erlebt hatte, als er in Begleitung der damals schwangeren Amelia die kaiserliche Loge betrat und die Zuschauermenge aufsprang und jubelte. Cornelius hatte huldvoll den Arm erhoben, während Agrippina ihm aus dem Mundwinkel zuzischte: »Sie bejubeln deine Frau, nicht dich, du Idiot!«
Woher hätte er wissen sollen, dass Amelia höchstpersönlich Roms beliebtesten Wagenlenker überredet hatte, seinen Ruhestand für ein allerletztes Wagenrennen aufzugeben? Die Aktivitäten der Ehefrau interessierten einen Mann nicht, solange die Kinder anständig erzogen wurden, der Haushalt reibungslos lief und der Name und gute Ruf ihres Gatten nicht beschmutzt wurden. Was die Gattin sonst noch unternahm – Wohltätigkeiten oder Gesellschaften
– war nicht von Belang für den Ehemann. Wie also hätte Cornelius ahnen können, dass Amelia eine Delegation von Patrizierdamen angeführt hatte, um dem arroganten Wagenlenker zu schmeicheln und ihn zu einem letzten Wagenrennen zu überreden? Da Amelias Bemühungen erfolgreich waren und die Römer den Wagenlenker geradezu vergötterten, hatte der Plebs Amelia selbst zur Heldin erklärt. Und ihr Mann hatte nichts davon gewusst.
Danach war Cornelius monatelang das Gespött der Stadt gewesen. Die Leute reimten Spottverse und Lieder, kritzelten Sprüche an Haus wände und machten aus »Cornelius Vitellius«
einen Euphemismus für den einfältigen Ehemann. Und es gab nichts, was er dagegen hätte tun können, ohne sich noch lächerlicher zu machen. Die Demütigung und der Groll hatten an ihm genagt wie ein Krebsgeschwür, bis er endlich seine Stunde gekommen sah. Von ihrem öffentlichen Podest würde er Amelia nicht stoßen können, wohl aber von ihrem persönlichen Sockel. Selbst wenn das Baby ein makelloser Junge gewesen wäre, hätte er es für untauglich erklärt und auf den Müll werfen lassen. Zum Glück war es ein Mädchen, und keiner hatte genau genug hingeschaut oder den Mut aufgebracht, den verkrüppelten Fuß anzuzweifeln. Trotz Amelias hysterischen Flehens wurde das Kind den Elementen ausgesetzt, und Cornelius’
Herrschaft war wieder hergestellt.
Doch dann musste diese dumme Frau sich mit einem anderen Mann einlassen – dazu noch mit einem Poeten! Und war dann auch noch so dämlich gewesen, sich erwischen zu lassen. Wieder musste Cornelius handeln. Er verbannte sie jedoch nicht aus Rom. Wenn der Plebs seine Gattin schon zur Favoritin erkoren hatte, sollte
Weitere Kostenlose Bücher