Kristall der Träume
Nichtjuden besteht, und so haben sie ihre Zusammenkünfte vom Sabbat auf den Sonntag, den sie den Tag des Herrn nennen, verschoben. Sie halten auch die koscheren Speisegesetze nicht ein. Die Gefährten des Herrn schicken Briefe an viele Gemeinschaften, um uns alle zusammenzubringen.« Bei der Versammlung in Raheis Haus schien es keinen andersgläubigen Einfluss zu geben. Die Teilnehmer waren in der Mehrzahl Juden.
Auf dem Tisch stand eine Menorah, der siebenarmige Leuchter.
Raheis Haupt, wie das der Männer, war bedeckt, die meisten Männer trugen Gebetsschal und Gebetsriemen. Die Gebete wurden zuerst auf Hebräisch, dann auf Lateinisch gesprochen. Und die Speisen, so reichhaltig und bunt, enthielten weder Schweinefleisch noch Schaltiere, Milch oder Käse. Dafür gab es gedünsteten Fisch in einer schmackhaften Sauce, gekochtes Huhn und zartes Kalbfleisch.
Rahel, die den Vorsitz führte, erklärte den Neuen in der Runde, dass mit diesem Fest der Ankunft des verheißenen Erlösers gedacht würde, des Messias, der den Juden das Reich Gottes bringen sollte.
Sie stellte die neuen Freunde vor. »Einige unter euch protestieren gegen die Nichtjuden in unserer Mitte. Aber hat Paulus uns nicht ermahnt, ›Ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christum Jesum‹?«
Rahel brach das Brot in Stücke und reichte es weiter. Amelia war aufgefallen, dass sich die Gebete an einen »Abba« richteten. »Ist Abba der Name eures Gottes?«, wollte sie wissen. »Aramäisch war die Sprache unseres Herrn, und Abba ist das aramäische Wort für
›Vater‹. Jesus hat Gott mit ›Vater‹ angeredet, und das haben wir übernommen.«
Trotz der fröhlichen Stimmung spürte Amelia eine merkwürdige Angespanntheit in der Gruppe, und je mehr sie ihren Geschichten lauschte, desto besser verstand sie den Grund für diese Spannung: Ihr Erlöser war dreißig Jahre zuvor gekreuzigt worden, und wie Petrus berichtete, hatte der Herr seine Rückkehr zu Lebzeiten seiner Jünger versprochen. Von ihnen lebten jedoch nur noch wenige, hochbetagt. Das bedeutete für die Glaubensgemeinde, dass Jesu Wiederkunft unmittelbar bevorstand. »Es kann jeden Tag sein«, versicherte Rahel der Gruppe. Das war neu für Amelia, denn ihr fiel kein einziger Erlösergott ein, der seine Rückkehr angekündigt hatte oder nach seiner Auferstehung tatsächlich zurückgekommen war.
Rahel berichtete auch von Stämmen an den Reichsgrenzen, die einen Aufstand gegen Rom anzettelten, dann zitierte sie Zeichen und Omen, die das Ende der Welt ankündigten. Die Schlussworte wurden von einem alten Mann gesprochen, den sie mit »Petrus« anredeten, für Amelias Ohren ein merkwürdiger Name, denn sie sprachen Lateinisch und nannten ihn daher »Fels«. Noch nie hatte sie von einem Mann namens Fels gehört. Darauf angesprochen, erwiderte Rahel: »Er ist Simon, der Fels, das bezieht sich auf seine Standfestigkeit und Treue. Er war der erste Jünger unseres Herrn.«
Petrus machte seinem Namen keine Ehre. Klein, alt und gebrechlich, musste man ihm zu seinem Platz geleiten, wo er mit brüchiger Stimme zu sprechen begann. Zuerst pries er Gott, dann sprach er von der Heiligkeit des Lebens. Für Amelia ergab das meiste wenig Sinn, dennoch hörte sie ihm höflich zu, als er sagte:
»Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk. Einst wart ihr nicht ein Volk, nun aber seid ihr Gottes Volk.« Zum Schluss gab es noch eine Geldkollekte, die zum Teil für die Armen in Rom, zum anderen für die im ganzen Land verstreuten Christengemeinden bestimmt war. Als der allgemeine Aufbruch nahte, fragte Rahel die Freundin, was sie von der Zusammenkunft halte. Amelia musste ihr gestehen, dass sie diesen neuen Glauben nicht richtig verstand und nicht akzeptieren mochte, dass das Ende der Welt bevorstand. »Liebste Freundin, ich danke dir, dass du mich heute zu deiner Versammlung eingeladen hast. Aber das ist nichts für mich. Ich habe nicht den Glauben, den du von deinen Mitgliedern erwartest. Ich denke auch nicht, dass euer Erlöser sich für mich interessieren könnte.« Sie brach unvermittelt ab. Der gebrechliche alte Apostel mit Namen Petrus begann gerade sein Schlussgebet. Er erhob sich von seinem Sitz, streckte die Arme aus und betete: »Unser Vater, der du bist im Himmel… « Wie unter Schock starrte Amelia auf die weit ausgestreckten Arme und dachte an die Prophezeiung des Wahrsagers. War das der vorhergesagte Mann?
Da die Sommerhitze über der Stadt
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