Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
verbracht hatte, jahrelang kaum geschlafen, kein Privatleben gehabt, sondern wie von einem Dämon besessen gearbeitet hatte, um Kardiologin zu werden. Aber dafür hatte sie einen Preis zahlen müssen. Als sie älter wurde, hatte sie die Wahrheit endlich begriffen: Es gab immer einen Preis.
Sie verlor ihre Tochter, schaute zu, wie Lina sich ihr immer weiter entfremdete. Madelaine versuchte, die perfekte Mutter zu sein, so wie sie versuchte, die perfekte Ärztin zu sein. Aber Ärztin zu sein war ein Klacks, verglichen damit, allein erziehende Mutter zu sein. Gleich, wie sehr sie sich bemühte, sie scheiterte bei Lina, und es war nicht nur schlecht, sondern noch schlimmer geworden. In letzter Zeit hing ihre Beziehung an einem seidenen Faden.
Madelaine wollte nichts sehnlicher, als das Richtige tun, das Richtige sein, aber was wusste sie schon von Mutterschaft? Sie war als Teenager schwanger geworden - viel zu jung. Sie hatte gewusst, dass sie sich um ihre Tochter kümmern, Lina ein gutes, geordnetes Leben geben müsste. Das Medizinstudium war zuerst nichts weiter als ein Luftschloss gewesen. Madelaine hatte nie geglaubt, dass sie es tatsächlich schaffen würde, aber sie hatte weiter geschuftet, von dem Treuhandvermögen gelebt, das ihre Mutter ihr hinterlassen hatte. Sie hatte wie eine Wahnsinnige gearbeitet, um die Beste und Erfolgreichste des letzten Semesters zu werden, und sie hatte den Abschluss früh geschafft.
Aber irgendwo auf diesem Wege hatte sie etwas falsch gemacht. Zuerst waren es kleine Dinge - eine vergessene Geburtstagsfeier, eine Notoperation an einem Familienabend, ein Ausflug, den sie nicht machen konnte. Madelaine war so von ihrem Ehrgeiz zerfressen gewesen, dass sie es überhaupt nicht bemerkte, als ihre Tochter aufhörte, sich mit ihr zu verabreden, aufhörte, sich darauf zu verlassen, dass sie irgendwo wäre oder etwas täte.
Jetzt bezahlte sie den Preis dafür.
Sie fuhr auf den Parkplatz der Schule, stieg aus dem Wagen und ging durch die Schule zum Büro der Studienberaterin. Sie klopfte heftig an die geschlossene Tür.
Ein gedämpftes »Herein« kam als Antwort.
Madelaine sammelte sich, indem sie ruhig ausatmete, und ging dann hinein.
Die Studienberaterin, eine hübsche Brünette namens Vicki Owen, lächelte breit und streckte ihre Hand aus. »Hallo, Dr. Hillyard. Kommen Sie. Setzen Sie sich.«
Madelaine schüttelte der Frau die Hand. »Sagen Sie bitte Madelaine zu mir.«
Vicki nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz und zog einen Stoß Papiere heraus. »Ich habe um dieses Gespräch gebeten, weil es bei Lina einige ernste Verhaltensprobleme gibt. Sie schwänzt den Unterricht, vergisst, Hausarbeiten zu machen, und ist aufmüpfig. Offen gesagt, ihre Lehrer sind hilflos. Und dabei war sie eine so wunderbare Schülerin.«
Madelaine empfand jedes der Worte wie einen Schlag. Sie wusste, dass es wahr war, wusste, dass ihre Tochter in Schwierigkeiten steckte, aber sie wusste nicht, was sie dagegen tun konnte.
Vickis Gesicht wurde weich und zeigte Verstehen. »Machen Sie sich keine Sorgen, Madelaine, das geht Ihnen nicht allein so. Jede Mutter einer sechzehnjährigen Tochter empfindet ebenso.«
Madelaine wollte den Worten der Studienberaterin nur zu gern glauben, aber sie wollte es sich nicht so leicht machen. »Danke«, murmelte sie.
»Möchten Sie darüber reden?«
Madelaine schaute der Beraterin ruhig in die dunklen Augen. Sie wollte ihre Last mit dieser jungen Frau teilen, ihre Karten auf den Tisch legen und sagen Helfen Sie mir, ich bin verloren, aber sie hatte nicht gelernt, so offen zu sein. Soweit sie sich erinnern konnte, war sie dazu erzogen worden, immer ein fröhliches Gesicht zu machen und stark zu sein. Schwäche zu zeigen war für sie unvorstellbar. »Ich glaube nicht, dass Reden mein Problem lösen wird«, sagte sie ruhig.
Vicki schwieg einen weiteren Augenblick, wartete und fuhr dann fort: »Linas Lehrer sagen mir, dass sie auf Strafen gut reagiert. Auf Vorschriften.«
Madelaine zuckte bei diesem subtilen Vorwurf zusammen. »Ja, das tut sie. Ich ...« Sie starrte Vicki an. Ich weiß einfach nicht wie. »Ich glaube, ich müsste mir mehr Zeit für sie nehmen.«
»Vielleicht«, erwiderte Vicki zweifelnd.
»Ich werde mit ihr reden.«
Vicki faltete die Hände auf dem Tisch. »Sie wissen, Madelaine, dass man manche Dinge durch Reden nicht lösen kann. Manchmal muss ein Teenager den Zorn Gottes spüren. Wenn vielleicht ihr Vater...«
»Nein«, sagte Madelaine schnell - zu
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