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Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft

Titel: Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Lächeln. »Fang schon an.«
    Jett begann zu schneiden. Lange Locken von pechschwarzem Haar rutschten über ihre Levi's-Jacke. Bei jedem Schnipp-schnipp-schnipp zuckte sie zusammen und hatte das Gefühl, als ob Teile von ihr abfielen.
    Brittany fischte einen Spiegel aus ihrer Handtasche und reichte ihn Lina. In ihren braunen Augen war ein triumphierendes Lächeln.
    Lina hob langsam den Spiegel hoch und starrte ihr Gesicht darin an. Für eine Sekunde konnte sie nicht atmen, aber nach einer Minute schaute sie nicht mehr auf das struppige, zerschnittene Haar. Sie starrte nur ihr Spiegelbild an.
    Die Fragen drangen wieder auf sie ein und dieses Mal halfen der Schnaps und der Pot absolut nicht. Plötzlich dachte sie an ihren Vater - den mysteriösen Vater -, der ihr Gesicht geprägt und ihrer Seele seinen Stempel aufgedrückt hatte. Wie immer überlegte sie, was er im Augenblick wohl tun mochte. Kam er von der Arbeit nach Hause? Küsste er ein anderes Kind, das er im Lauf der Zeit gezeugt hatte, eines, bei dem er geblieben war, um es großzuziehen?
    Alles wäre anders, wenn ich dich kennen würde, dachte sie zum millionsten Mal.
    »Sie sieht wie Mr Sears aus«, sagte Brittany und lachte schrill. »He, Hillyard, vielleicht ist der Hausmeister der Schule dein Dad.«
    Jett griff nach einem Joint und nahm einen Zug. Rauch quoll aus seinem Mund, als er sagte: »Ich weiß nicht, warum du nicht einfach deine alte Dame fragst. Meine Mutter hat mir die Adresse meines Dad vor ein paar Jahren gegeben. Sie sagte mir, ich solle zu ihm ziehen, und wünschte mir viel Glück.«
    Einfach fragen.
    Lina erschauerte bei dem Gedanken. Vielleicht würde sie es dieses Mal tun. Ihr sechzehnter Geburtstag stand bevor ...
    Der Gedanke intensivierte sich, nahm Gestalt in ihrem Kopf an, bis sie am ganzen Leibe zitterte. Erwartung erblühte in ihr zu einer lebenden, atmenden Existenz. Sie wusste plötzlich, was sie sich zu ihrem Geburtstag wünschte. »Es ist Zeit«, sagte sie zu sich und spürte, dass sie zu lächeln begann.
    »Was meinst du, Lina?« Brittanys nasale Stimme drang in ihre Gedanken.
    Lina blickte ruckartig auf. Für einen Sekundenbruchteil verstand sie nicht, worauf sie alle warteten. Dann erinnerte sie sich. Der Haarschnitt. Sie schaute zuerst Jett an, dann Brittany - die so unbedarft war, dass sie glaubte, ein dämlicher Haarschnitt sei wichtig. »Ist irgendwie cool. Danke, Jett. Und jetzt gib mir den Tequila.«

Kapitel 3
    Madelaine setzte die teuren Einkaufstüten auf dem knarrenden alten Kai ab und setzte sich.
    Salzige Luft streichelte ihre Wangen und zerrte an den kurzen Locken, die ihr Gesicht umrahmten. Das dunkelgrüne Wasser starrte sie an, wiegte sich sanft, klatschte gegen die von Rankenfüßlern übersäten Pfähle und hustete Gischt. Der Kai stöhnte unter ihr, bewegte sich mit jedem Stoß der Gezeiten, als kämpfe er, um seinen Platz gegen die monumentale Kraft des Meeres zu behaupten.
    »Hallo, Mama«, sagte sie und ihre Stimme war so sanft und leise wie der Wind, der durch die altersschwachen Bretter flüsterte.
    Die See starrte sie an, wartend und wogend.
    Sie sehnte sich danach, sich ihrer Mutter nahe zu fühlen, hier, an dem einzigen Ort auf Erden, an dem ein solches Gefühl überhaupt möglich war, aber es war schwer, ein Band zu knüpfen, das vor so vielen Jahren zerrissen war. Sie versuchte es dennoch. Am ersten Sonntag eines jeden Monats kehrte sie zurück und sprach zu der Frau, die ihr Leben hätte gestalten sollen.
    Zum ersten Mal war sie hergekommen, als sie sechs Jahre alt war. Ein spindeldürres Kind damals, mit unscheinbarem Gesicht, gekleidet wie eine winzige Puppe, ihre schwarzen Mary-Jane-Lackschuhe an den Knöcheln leicht zusammengepresst, ihr schwarzes Satinkleid plusterte sich im Wind auf.
    Sie schloss ihre Augen und ließ den Erinnerungen freien Lauf, alles, was ihr geblieben war. Ihr Vater stand am Rand dieses Kais neben ihr, sein Burberry-Mantel flatterte und seine Wangen waren von der Kälte gerötet. Er hatte damals so groß gewirkt, riesig und unzerstörbar, mit einer Stimme wie ein Nebelhorn und Augen, die sie niemals ansahen.
    Die Asche ihrer Mutter trieb auf der Oberfläche des Wassers ...
    Weine nicht, Mädchen. Das bringt sie nicht zurück.
    Madelaine gehorchte ihm, wie sie es immer getan hatte, und hielt bei jedem Atemzug die Tränen zurück. Das Meer war vor ihren Augen verschwommen, schimmernd zu einer riesigen, endlosen blauen Fläche geworden, die ihr einst nichts bedeutet hatte

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