Kristin Lavranstochter 1
und verbrannt - die Knechte wagten es nicht. Es wurde ihnen noch so halb und halb gestattet, in den heiligen Nächten Speisen hinauszutragen zu dem großen Stein auf dem Jörundhügel - Lavrans fand, es wäre doch eine Sünde, dem Urbauern das zu entziehen, was er nun, solange auf dem Hof Menschen gelebt hatten, zu bekommen gewohnt war. Jener Bauer war gestorben, noch lange ehe das Christentum nach Norwegen gekommen war, so daß man es ihm nicht zur Last legen konnte, daß er ein Heide war.
Die Leute sahen es ungern, daß Lavrans Björgulvssohn solche Veränderungen vornahm. Für ihn mochte es ja recht sein, er konnte sich an anderer Stelle Sicherheiten erkaufen. Diese schienen nicht weniger kräftig zu sein, denn Lavrans hatte das gleiche Bauernglück wie zuvor. Aber man fragte sich doch, ob die Geister sich nicht rächen würden, wenn ein Mann auf den Hof käme, der weniger fromm wäre und nicht so gebefreudig bei allem, was die Kirche anginge. Für kleine Leute jedenfalls war es billiger, den Alten das Gewohnte zu geben als in Streit mit ihnen zu geraten und sich an die Priester halten zu müssen.
Im übrigen war es durchaus ungewiß, wie es mit der Freundschaft zwischen Jörundhof und dem Hof des Priesters einmal gehen würde, wenn Sira Eirik nicht mehr wäre. Der Priester war jetzt alt und schlaff geworden und mußte sich einen Hilfspriester halten. Er hatte mit dem Bischof über seinen Tochtersohn Bentein Jonssohn gesprochen - aber auch Lavrans redete mit dem Bischof, der von früheren Zeiten her sein Freund war. Die Leute fanden das nicht recht. Wohl konnte man annehmen, daß der junge Priester Kristin Lavranstochter an jenem Abend zu nahe getreten war und das Mädchen vielleicht erschreckt hatte - aber man konnte doch auch nicht wissen, ob nicht sie selbst die Veranlassung zu seiner Frechheit gegeben hatte. War doch später herausgekommen, daß sie nicht so schüchtern war, wie es geschienen hatte. Aber Lavrans hatte die ganze Zeit seine Tochter für zu gut gehalten und sie auf Händen getragen, ganz als wäre sie ein Heiligenschrein.
Nach diesem Vorfall war das Verhältnis zwischen Sira Eirik und Lavrans einige Zeit lang kühl. Aber dann kam dieser Sira Solmund, und er geriet mit dem Pfarrherrn sogleich in Streit wegen einiger Äcker, von denen man nicht wußte, ob sie zum Pfarrgut oder zu Eiriks Eigentum gehörten. Lavrans wußte am besten Bescheid über jeden Länderverkauf in der Gemeinde bis weit zurück in der Zeit, und seine Zeugenaussage gab hier den Ausschlag. Seitdem waren er und Sira Solmund keine Freunde. Sira Eirik und Audun, der alte Diakon, wohnten jetzt beinahe auf Jörundhof, so konnte man wohl sagen, denn sie kamen jeden Tag herüber und saßen bei Lavrans, klagten über alle Ungerechtigkeiten und Plagen, die sie von dem neuen Priester erdulden mußten, und wurden bedient, als wären sie zwei Bischöfe.
Kristin hatte darüber einiges von Borgar Trondssohn auf Sundbu erfahren; er hatte sich sein Weib aus dem Drontheimischen geholt und war mehrere Male auf Husaby zu Gast gewesen. Trond Gjesling war vor ein paar Jahren gestorben; dies schien niemand für einen großen Schaden zu halten, denn er war fast wie ein Schandfleck in der alten Sippe gewesen: geizig, störrisch und kränklich. Lavrans allein hatte es mit Trond ausgehalten, denn ihn jammerte des Schwagers und noch mehr Gudrids, des Weibes. Jetzt waren sie tot, und alle ihre vier Söhne wohnten zusammen auf dem Hof; es waren vielversprechende, wackere und schöne Männer, so daß die Leute dies für einen guten Tausch ansahen. Zwischen ihnen und dem Oheim auf Jörundhof herrschte große Freundschaft; er ritt jedes Jahr ein paarmal nach Sundbu und begleitete sie auf der Jagd im Westgebirge. Aber auch Borgar sagte, es sei ganz unvernünftig, wie Lavrans und Ragnfrid sich jetzt mit Bußen und Gottesfürchtigkeit plagten. „Wasser schüttet er sich zur Fastenzeit immer noch wie verrückt in den Hals, doch dem Bier spricht er nicht mehr mit dem gleichen vergnügten Herzen zu wie früher, dein Vater“, sagte Borgar. Keiner könne sich auf diesen Mann verstehen - es sei doch undenkbar, daß Lavrans irgendeine heimliche Sünde zu büßen habe, und soweit die Leute davon wüßten, habe er doch sicher so christlich gelebt wie nur irgendeines der Kinder Adams, außer den Heiligen.
Tief und verborgen regte sich in Kristins Herzen eine Ahnung, weshalb der Vater danach strebte, Gott immer näher und näher zu kommen. Aber sie wagte nicht, klar
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