Kristin Lavranstochter 1
und Streites mit allem um sie und mit ihrem eigenen Innern so müde. Aber sie war so geartet, daß auch die Sorglosigkeit sie ängstlich machte und an ihr zehrte. Hier daheim hatte sie den Frieden ihrer Kindheit unter dem Schutz des Vaters wiederzufinden gehofft.
Nein, sie fühlte sich so unsicher. Erlend hatte jetzt gute Einnahmen aus seinem Amt, dafür trat er aber auch mit immer größerem Prunk auf und umgab sich mit immer zahlreicherem Gesinde und Gefolge. Und außerdem hatte er begonnen, sie nun völlig von all dem in seinem Leben fernzuhalten, was nicht ihr allernächstes gemeinsames Leben betraf. Sie merkte, daß er ihre wachsamen Augen nicht über seinem Tun und Lassen haben wollte. Mit Männern redete er mehr als gern über alles, was er dort oben im Norden gesehen und erlebt hatte - ihr gegenüber erwähnte er niemals etwas davon. Dazu kamen noch andere Dinge. Er war in diesen Jahren ein paarmal Frau Ingebjörg, der Königinmutter, und Herrn Knut Porse begegnet; es hatte sich nie so gegeben, daß sie hätte mit dabeisein können. Nun war Herr Knut Herzog in Dänemark, und König Haakons Tochter hatte sich mit ihm durch Heirat verbunden. Dies hatte in manchem norwegischen Gemüt bitteren Groll erweckt; es waren gegen die hohe Frau Schritte unternommen worden, die Kristin nicht verstand. Und der Bischof in Björgvin hatte heimlich einige Truhen nach Husaby gesandt; sie waren jetzt an Bord von Margygren, und das Schiff lag draußen bei Neset. Erlend hatte Briefschaften erhalten und wollte zum Sommer nach Dänemark segeln. Er wollte Kristin unbedingt mitnehmen -aber sie widersetzte sich. Sie begriff, daß Erlend sich unter diesen Mächtigen als Ebenbürtiger und lieber Verwandter bewegte, und sie ängstigte sich. Es war so wenig Verlaß auf einen so unvorsichtigen Mann wie Erlend. Aber sie wagte doch nicht, mitzufahren - dort draußen würde sie ihm nicht mit Rat beistehen können, und sie wollte sich nicht der Gefahr aussetzen, mit Leuten zusammenzukommen, unter denen sie, eine schlichte Hausfrau, sich nicht behaupten konnte. Und dann hatte sie Angst vor dem Meer; die Seekrankheit stand vor ihr wie etwas, was schlimmer war als die schwerste Geburt.
So lebte sie daheim auf Jörundhof, bebenden und unruhigen Herzens.
Eines Tages war sie mit ihrem Vater unten auf Skjenne. Und sie hatte wiederum die merkwürdige Kostbarkeit gesehen, die die Leute dort auf dem Hof besaßen. Es war ein Sporn aus dem reinsten Golde, groß und von veralteter Form, mit seltsamen Verzierungen; sie wußte, wie jedes Kind in der Gemeinde, woher er stammte.
Es war in der ersten Zeit, nachdem Sankt Olav das Christentum ins Tal gebracht hatte, daß Audhild, die Holde von Skjenne, in den Berg gelockt worden war. Man schaffte Kirchenglocken auf den Berg hinauf und läutete nach dem Mädchen; am dritten Abend kam sie den Hang heruntergeschritten, so geschmückt mit Gold, daß sie wie ein Stern glänzte. Da zerriß das Seil, die Glocke rollte über das Gestein hinunter, und Audhild mußte wieder in den Berg zurück.
Aber viele Jahre später kamen eines Nachts zwölf Recken zum Priester - es war der erste Priester, der hierher nach -Sil gekommen war. Sie hatten goldene Helme und silberne Harnische und ritten auf dunkelbraunen Hengsten. Das waren Audhilds Söhne, die sie mit dem Bergkönig bekommen hatte, und sie baten darum, ihrer Mutter ein christliches Begräbnis und ein Grab in geweihter Erde zu geben. Sie habe ihren Glauben bewahrt und die Feiertage der Kirche im Berg gehalten und habe so innig um diese Gnade gebeten. Allein, der Priester schlug es ihnen ab - die Leute sagten, er habe darum nun selbst keine Ruhe im Grabe, sondern wanke in den Herbstnächten im Wald nördlich der Kirche umher, wo man ihn vor Reue über seine Härte weinen höre. In der gleichen Nacht hatten die Audhildssöhne sich auf Skjenne gezeigt und dort den alten Eltern die Grüße der Mutter überbracht. Da fand man am Morgen den goldenen Sporn auf dem Hofplatz. Die Leute auf dem Hof glaubten, auch weiterhin auf die Verwandtschaft mit den Skjenne-Männern rechnen zu dürfen, denn sie waren im Gebirge stets von besonderem Glück begünstigt. Während Kristin mit dem Vater in der Sommernacht heimwärts ritt, sagte Lavrans zur Tochter:
„Diese Audhildssöhne sprachen die christlichen Gebete, wie sie sie von ihrer Mutter gehört hatten. Gottes Namen und Jesu Namen konnten sie nicht aussprechen, aber das Vaterunser und das Credo sprachen sie folgendermaßen: Ich
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