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Kristin Lavranstochter 2

Titel: Kristin Lavranstochter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Undset
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Jahren nur sie geliebt.
    An jedem einzelnen Tag in diesen Monaten seit seinem Tod hatte sie an ihn denken müssen, und jetzt dünkte es sie, daß sie es schon gewußt hatte, noch ehe Ramborg es aussprach. Sie war gezwungen worden, in dieser Zeit jede Erinnerung zurückzurufen, die sie an Simon hatte, seit sie ihn kannte. In allen diesen Jahren hatte sie falsche Erinnerungen an ihn mit sich herumgetragen, an ihn, der ihr Verlobter gewesen war; sie war mit diesen Erinnerungen umgegangen, wie ein schlechter Landesverweser mit der Münze umgeht, wenn er unreines Erz in das Silber mischt. Als Simon sie freigab und die Schuld an dem Wortbruch auf sich nahm, hatte sie sich selbst gesagt und es auch geglaubt, Simon Andressohn wende sich in Verachtung von ihr, von demselben Augenblick an, da er wußte, daß sie entehrt war. Sie hatte vergessen, daß er an jenem Tag in dem Garten der Nonnen, als er sie freigab, gewiß nicht von ihr dachte, daß sie nicht rein und unberührt sei. Aber schon damals war er bereit, die Schuld für ihren Wankelmut und ihren Ungehorsam auf sich zu nehmen - forderte nur, ihr Vater sollte erfahren, daß nicht er es war, der die Treue hatte brechen wollen.
    Und auch dieses wußte sie jetzt. Als er das Schlimmste über sie erfahren hatte, stand er auf und trat vor, um für sie vor den Augen der Welt einen Schein von Ehre zu retten. Hätte sie damals ihm ihre Liebe zuwenden können, so hätte Simon sie auch da noch vor der Kirchentüre zum Weib genommen, und er würde versucht haben, so mit ihr zu leben, daß sie nie die Erinnerung, die er an ihre Schande mit sich herumtrug, zu fühlen bekommen hätte.
    Und dennoch wußte sie, daß sie ihn nie hätte lieben können. Sie hätte Simon Andressohn nie lieben können. Trotzdem - alle Eigenschaften, die Erlend zu ihrem größten Kummer nicht hatte, die besaß Simon. Aber dann war sie selber ein erbärmliches Weib, das jammerte.
    Ohne Ende hatte Simon jenem Menschen gegeben, den er liebte, und Kristin hatte immer geglaubt, daß auch sie dies tue...
    Aber wenn sie seine Gaben entgegennahm, gedankenlos und ohne Dank, hatte er gelächelt. Jetzt begriff sie, daß ihm oft schwer zumute sein mußte, wenn sie beisammen waren. Jetzt wußte sie, daß es Kummer war, was er hinter der seltsam unbeweglichen Miene verborgen hatte - dann warf er ein paar lose Scherzworte hin, schob alles beiseite, stand wieder bereit, zu schützen, zu helfen und zu geben.
    Sie selbst hatte getobt, hatte jeden Schmerz in ihrem Gedächtnis aufbewahrt und darüber nachgegrübelt - wenn sie Erlend ihre Geschenke darreichte und er es nicht sah.
    Hier in dieser Stube hatte sie gestanden und die kühnen Worte gesagt: „Ich selbst habe mich auf diesen Irrpfad begeben, und nie werde ich Erlend darum anklagen, wenn er mich in den Abgrund führt.“ Sie hatte diese Worte zu jener Frau gesagt, die von ihr in den Tod getrieben wurde, um ihrer Liebe Platz zu schaffen.
    Kristin stöhnte laut auf, schlug die Hände über ihrer Brust zusammen und bog sich hin und her. Ja - sie hatte so stolz gesagt, sie würde Erlend Nikulaussohn nicht anklagen, wenn er ihrer müde würde, sie verriete, ja sogar sie verließe ...
    Ja - hätte Erlend dies getan, es dünkte sie, sie hätte ihr Wort halten können. Hätte er sie einmal verraten, und zwar so, daß alles zu Ende gewesen wäre. Aber er hatte sie nicht verraten -nur immer und immer wieder im Stich gelassen, so daß sie immer und stets in Angst und Unsicherheit leben mußte. Nein, verraten hatte er sie niemals, aber in Sicherheit hatte sie nie leben dürfen - und sie sah kein Ende davon ab: hier stand sie nun bereit, ihn anzuflehen, zurückzukehren und ihren Becher jeden Tag mit Ungewißheit und Unruhe zu füllen, mit eitlen Versprechungen, mit Sehnsüchten und Furcht und Hoffnungen, die zerbrachen.
    Und es dünkte sie, sie sei jetzt ganz von ihm verbraucht. Sie besaß weder Jugend noch Mut, weiter mit ihm zu leben - und doch würde sie wohl nie so alt werden, daß Erlend nicht mit ihrer Liebe spielen könnte. Nicht jung genug, mit ihm leben zu können, nicht alt genug, mit ihm Geduld zu haben. Ein armseliges Weib war sie geworden - war es wohl immer gewesen. Simon hatte recht.
    Simon - und der Vater. Die hatten in treuer Liebe zu ihr gehalten, soviel sie auch beide um dieses Mannes willen, den sie jetzt selber nicht länger zu ertragen vermochte, mit Füßen getreten hatte.
    O Simon, ich weiß, du hast nie Rache auf mich herabgewünscht, aber ich möchte wissen,

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