Kristin Lavranstochter 2
zu werden, richtete sich auf und ging zu ihrem Mann zurück, beide Hände voll. Sie redeten nicht miteinander, während sie aufwärts wanderten.
In der Stube angelangt, zog sich Erlend ganz aus und stieg ins Bett.
„Legst du dich nicht bald schlafen, Kristin?“
„Ich muß erst noch ein wenig essen.“ Sie setzte sich auf ihren Holzschemel bei der Herdstätte, ein Stück Brot und Käse auf dem Schoß, aß langsam und starrte in die Glut, die in dem mit Steinen ausgelegten Loch am Boden immer dunkler wurde.
„Schläfst du, Erlend?“ flüsterte sie, als sie aufstand und ihren Rock ausschüttelte.
„Nein ...“ Kristin ging in den Winkel und trank eine Schöpfkelle voll saurer Milch aus dem Gefäß dort. Dann ging sie zur Herdstätte zurück, hob einen flachen Stein auf und legte ihn auf die Glut, streute die Blüten der Königskerzen zum Trocknen darauf.
Jetzt aber konnte sie keine Arbeit mehr finden. Sie zog sich im Dunkeln aus und legte sich zu Erlend ins Bett. Als er den Arm um sie schlang, fühlte sie die Müdigkeit wie eine kalte Welle durch ihren ganzen Körper dringen; ihr Kopf wurde leer und schwer, als senke sich in ihm alles herab und balle sich zu einem Klumpen Schmerz im Nacken zusammen. Als Erlend ihr jedoch etwas zuflüsterte, legte sie gehorsam die Arme um seinen Hals.
Sie erwachte und wußte nicht, welche Zeit in der Nacht es war. Aber an dem Rauchloch über der Herdstätte konnte sie erkennen, daß der Mond hoch stehen mußte.
Das Bett war eng und kurz, so daß sie ganz dicht aneinandergedrängt liegen müßten. Erlend schlief, er atmete still und gleichmäßig, sein Brustkorb hob und senkte sich schwach im Schlaf. Früher einmal hatte sie sich dichter an seinen warmen gesunden Körper gedrückt, wenn sie des Nachts erwachte und Angst bekam, weil er so unhörbar atmete - da dünkte es sie ein glückliches süßes Gefühl, zu spüren, wie seine Brust sich im Schlaf an ihrer Seite bewegte.
Nach einer Weile verließ sie leise das Bett, zog sich im Dunkeln an und schlich zur Tür.
Der Mond segelte hoch über aller Welt dahin. Es blitzte von den Pfützen der Moore auf und von den felsigen Bergseiten, über die tagsüber Wasser gerieselt war - jetzt legte sich dort Eis an. Der Mond leuchtete über Laubwald und Nadelwald. Die ganze Wiese glitzerte von Reif. Es war bitter kalt - Kristin kreuzte die Arme unter der Brust und blieb so stehen.
Dann ging sie am Bach entlang hangaufwärts. Es klirrte und raschelte mit schwachem Laut von kleinen zerbrechenden Eisnadeln.
Zuoberst auf dem Hügel ragte ein mächtiger Felsblock aus der Erde. Niemand begab sich in seine Nähe, ohne daß er mußte und ohne das Kreuzzeichen zu machen. Wenn die Leute im Frühjahr auf die Alm kamen und bevor sie im Herbst wieder abzogen, pflegten sie Rahm am Fuß des Steines auf die Erde zu schütten. Im übrigen hatte Kristin nie gehört, daß jemand dort etwas wahrgenommen hätte - aber es war so von alters her der Brauch auf dieser Alm gewesen ...
Sie wußte selbst nicht, was in sie gefahren war, daß sie so, mitten in der Nacht, aus dem Haus ging. Bei dem Fels machte sie halt - stützte einen Fuß auf einen Vorsprung. Ihr Magen krümmte sich zusammen, sie fühlte sich kalt und leer im Unterleib vor Angst - aber sie wollte sich nicht bekreuzigen. Dann kroch sie hinauf und setzte sich auf den Felsen.
Von hier aus sah man weit, weit. Tief hinein in die häßlichen kahlen Berge im Mondschein. Der große Bergrücken im Dovregebirge erhob sich gewaltig und bleich gegen die bleiche Luft, weiß blickte der Firn im Einschnitt bei der Graahöhe herab, die Eberkämme leuchteten mit Neuschnee und blauen Schluchten auf. Das Gebirge im Mondschein war häßlicher, als sie sich hatte ausdenken können - kaum daß der eine oder andere Stern an dem unendlich großen eisigen Himmel aufschimmerte. Sie fror bis ins innerste Mark hinein - Schrecken und Kälte stürzten von allen Seiten auf sie ein. Aber sie blieb sitzen und trotzte.
Sie wollte nicht hinuntergehen und sich in der schwarzen Finsternis an den warmen schlafenden Körper des Mannes legen. Sie selbst würde heute nacht keinen Schlaf finden, das fühlte
sie.
So gewiß sie die Tochter ihres Vaters war - ihr Gemahl sollte niemals von seinem Weibe einen Vorwurf wegen seines Vorgehens zu hören bekommen. Denn sie erinnerte sich ihres Gelöbnisses, damals, als sie bei Gott dem Allmächtigen und allen Heiligen im Himmelreich um Erlends Leben gebettelt hatte . . .
So mußte sie denn
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