Kristin Lavranstochter 2
fremden Stier, der ihrer Herde jeden Abend folgte, mit Steinen. Sie hatten sich erboten, Finn beim Melken der Ziegen behilflich zu sein, aber dazu hatten sie jetzt wohl die Lust verloren.
Als Kristin ein wenig später hinauskam, waren die Knaben gerade dabei, das schöne weiße Stierkalb, das sie Lavrans geschenkt hatte, zu verprügeln - Lavrans stand dabei und jammerte leise. Die Mutter stellte die Eimer hin, packte die Buben an den Schultern und schleuderte sie zur Seite - das Kalb ihres Bruders sollten sie in Ruhe lassen, wenn er, dem es gehörte, dagegen Einspruch erhebe ...
Erlend und Naakkve saßen auf der Türschwelle; sie hatten einen frischen Käse zwischen sich liegen, aßen ein Stück nach dem anderen und fütterten nebenher noch Munan, der zwischen Naakkves Knien stand. Naakkve hatte dem Kleinen ein Haarsieb über den Kopf gestülpt und sagte, nun sei Munan unsichtbar - denn dies sei nicht ein Sieb, sondern eine Huldre-Kappe. Sie lachten, alle drei - kaum aber erblickte Naakkve die Mutter, so reichte er ihr das Sieb, stand auf und nahm ihr die Eimer ab.
Kristin verweilte noch zögernd in der Milchkammer. Die obere Halbtüre stand einen Spalt weit offen und gab den Blick in den nebenanliegenden Raum frei - auf der Herdstätte brannte ein tüchtiges Feuer. In dem warmen flackernden Schein saßen sie alle ums Feuer herum und aßen, Erlend, die Kinder, die Magd und die drei Hirten.
Als Kristin hereinkam, hatten die anderen schon gegessen. Sie sah, daß man die beiden Kleinen auf die Bank gelegt hatte, sie schliefen wohl schon. Erlend lag zusammengerollt auf dem Bett. Sie stolperte über sein Wams und seine Stiefel, hob die Sachen im Vorübergehen auf und ging dann hinaus.
Der Himmel war noch hell, mit einem roten Rand über den Bergen im Westen; ein paar dunkle Wolkenfetzen schwammen in der klaren Luft. Es schien auch für morgen gutes Wetter zu verheißen, so still wie alles war und so fröstelnd kalt, jetzt, da die Nacht immer mehr einfiel - kein Wind, nur ein eisiger Hauch aus dem Norden droben, ein gleichmäßiger Atemzug von den nackten kahlen Bergen herab. Dort drüben über den niederen Hügeln im Südosten kam der Mond herauf, beinahe voll, noch groß und bleichrot in dem feinen Dunst, der stets über den Mooren dort schwebte. Irgendwo in der Nähe ging der fremde Stier umher und schrie und brüllte. Sonst war alles so still, daß es schmerzte - nur das Rauschen des Flusses am Fuß des Berges, der kleine rieselnde Bach über die Almwiese hinunter und ein schläfriges Sausen im Wald. Eine Unruhe bewegte sich zwischen den Bäumen, verweilte ein wenig und bewegte sich wieder.
Sie machte sich mit ein paar Satten und Trögen zu schaffen, die an die Wand gelehnt standen. Naakkve und die Zwillingsbrüder kamen heraus - wo sie denn hinwollten, fragte die Mutter.
Sie wollten sich in der Scheune schlafen legen, die Luft in der Milchkammer sei so dick von all den Käsen und der Butter -und von den Hirten, die dort schliefen.
Naakkve ging nicht sofort in die Scheune hinein. Die Mutter konnte seine hellgraue Gestalt noch lange gegen die grüne Dunkelheit unten auf der gemähten Wiese am Waldrand erkennen. Kurz darauf erschien die Magd in der Tür - sie schrak zusammen, als sie die Hausfrau bei der Wand erblickte.
„Willst du jetzt nicht schlafen gehen, Astrid? Es ist schon spät...“
Die Magd murmelte etwas - sie wolle nur hinter den Stall gehen. Kristin wartete, bis sie das Mädchen wieder ins Haus zurückkehren sah. Naakkve stand jetzt im sechzehnten Jahr. Es war schon geraume Zeit her, seit die Mutter angefangen hatte, die Mägde auf dem Hof ein wenig im Auge zu behalten, wenn sie mit dem schönen und lebhaften Knaben scherzten.
Kristin ging zum Bach hinunter und kniete auf einer ins Wasser hineinragenden Steinplatte nieder. Vor ihr rann das Wasser beinahe schwarz in ein weites Becken, nur einige Wirbel ließen die Strömung erkennen, aber ein wenig weiter oben brauste es in der Finsternis weiß mit Dröhnen und kaltem Hauch. Jetzt war der Mond so hoch heraufgekommen, daß sein Schein leuchtete - da und dort blitzte es auf einem betauten Blatt auf. Dann entzündete sich irgendwo auf einer gekräuselten Stelle im Wasser ein Funke...
Dicht hinter ihr sprach Erlend ihren Namen aus - sie hatte ihn nicht über die Wiese herabkommen hören. Kristin tauchte die Arme in das eisige Wasser und fischte ein paar Milchsatten herauf, die mit Steinen beschwert auf dem Grunde gelegen hatten, um vom Fluß gespült
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