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Kristin Lavranstochter 2

Titel: Kristin Lavranstochter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Undset
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Tages, als Naakkve das Kind betrachtete, sagte er:
    „Mutter, gebt mir Urlaub - damit ich den Vater aufsuche und ihm sage, wie es um diesen Knaben steht.“
    „Jetzt wird es nichts mehr nützen“, antwortete die Mutter hoffnungslos.
    Munan begriff nichts davon. Er brachte dem kleinen Bruder seine Spielsachen, war seelenvergnügt, wenn er ihn halten durfte, und meinte, er habe das Kind zum Lächeln gebracht. Munan sprach davon, wann der Vater heimkomme, und machte sich Gedanken darüber, wie er diesen neuen Sohn wohl würde leiden mögen. Schweigend und mit grauem Gesicht saß Kristin dabei und ließ ihre Seele von dem Geschwätz des Knaben zerreißen.
    Der Säugling war jetzt mager und runzlig wie ein alter Mann; seine Augen waren unnatürlich groß und klar. Trotzdem fing er an, der Mutter zuzulächeln; sie jammerte leise, wenn sie das sah. Kristin streichelte die mageren kleinen Glieder, nahm die Füßchen in ihre Hand - nie würde wohl dieses Kind hier auf dem Rücken liegen und erstaunt nach den süßen blaßroten und seltsamen Dingen greifen, die in der Luft über ihm

schwebten und von denen es nicht begriff, daß es seine eigenen Beine waren. Nie würden diese kleinen Füße auf die Erde auftreten.
    Wenn sie dann alle die mühseligen Werktage der Woche dagesessen und das sterbende Kind betrachtet hatte, dann dachte sie, während sie sich zum Kirchgang ankleidete, ja, jetzt sei sie wohl weich genug. Sie hatte Erlend vergeben - er war ihr gleichgültig, wenn sie nur ihren süßesten, ihren kostbarsten Besitz behalten dürfte, so wollte sie diesem Manne gerne vergeben.
    Wenn sie aber vor dem Kreuz das Paternoster flüsterte und zu den Worten kam: sicut et nos dimittimus debitoribus nostris, fühlte sie ihr Herz hart werden, wie eine Hand, die sich zum Schlag ballt. Nein!
    Hoffnungslos und in der Seele krank, weinte sie, denn sie vermochte nicht, zu wollen.
    Und dann starb Erlend Erlendssohn am Tag vor dem Fest der Maria Magdalena, nicht ganz drei Monate alt.

7
    In diesem Herbst kam Bischof Halvard ins Tal herauf. In Sil traf er am Tag vor der Matthäusmesse ein. Es waren mehr als zwei Jahre her, seit der Bischof so weit im Norden gewesen war, so daß dieses Mal viele Kinder gefirmt werden sollten. Unter ihnen befand sich Munan Erlendssohn; er war jetzt acht Jahre alt.
    Kristin bat Ulv Haldorssohn, das Kind zum Bischof zu geleiten - sie besaß jetzt nicht einen einzigen Freund in ihrer Heimat, den sie darum hätte bitten mögen. Ulv schien sich über ihre Bitte zu freuen. So schritten denn diese drei, Kristin, Ulv und der Knabe, als die Glocken läuteten, zur Kirche hinan. Die Söhne waren schon in der Frühmesse gewesen, alle außer Lavrans, der mit Fieber zu Bett lag; sie mochten die spätere Messe nicht besuchen, da dann in der Kirche ein solches Gedränge herrschte.
    Als sie am Verwalterhaus vorübergingen, sah Kristin, daß dort am Zaun viele fremde Pferde festgebunden waren. Ein wenig weiter oben auf dem Weg wurden sie von Jardtrud eingeholt, die mit großem Gefolge einherkam und an ihnen vor-
    überritt. Ulv tat so, als sähe er seine Frau und deren Verwandte nicht.
    Kristin wußte, daß Ulv gewiß schon seit kurz nach Neujahr den Fuß nicht mehr über seine eigene Schwelle gesetzt hatte. Damals war es wohl zwischen ihm und seiner Frau noch schlimmer zugegangen als gewöhnlich, und so hatte er danach seine Kleidertruhe und seine Waffen in das Haus mit dem Oberstockwerk getragen und wohnte dort bei den Knaben. Einmal, zu Anfang des Frühjahrs, hatte Kristin davon gesprochen, es sei doch schlimm, daß er sich mit seiner Frau so schlecht vertrage - da sah er sie an und lachte, so daß sie verstummte.
    Die Sonne schien hell, und das Wetter war strahlend. Draußen, über das Tal hin, spannte sich die Luft blau zwischen den Bergen. Das gelbe Laub an den Birkenhängen begann spärlich zu werden, und überall war das meiste Getreide geschnitten, dennoch wogte noch da und dort bei den Höfen ein bleicher Gerstenacker, und das Gras stand grün und taunaß auf der Wiese. Bei der Kirche waren viele Leute, und es herrschte lautes Stampfen und Wiehern von Hengsten, denn der Kirchenstall war voll, und gar viele hatten ihre Gäule draußen anbinden müssen.
    Überall, wo Kristin und ihr Gefolge auftraten, ging es wie eine gedämpfte, widerwillige Unruhe durch die Schar. Ein junger Bursche schlug sich auf den Schenkel, lachte, wurde jedoch von älteren Leuten heftig zur Ruhe gewiesen. Mit abgemessenen Schritten und in

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