Kristin Lavranstochter 2
schien sie nichts zu erkennen. Plötzlich fuhr sie auf, das Gesicht mit Blutröte übergossen.
„Tu, was du willst. Wenn du dich nach deinem rechten Herrn sehnst, so will ich dich nicht zurückhalten. Am besten ist es, du bekommst gleich deinen Lohn - dann brauchst du später nicht mehr zu uns herunterzukommen.“
Ulv stieß einen fürchterlichen Fluch aus. Dann betrachtete er das Weib, das den Säugling an die Brust gedrückt hielt. Er preßte die Lippen aufeinander und schwieg.
Aber Skule trat einen Schritt vor.
„Ja, Mutter - ich reite jetzt zum Vater hinauf; Vergeßt Ihr, daß Ulv uns Brüdern allen ein Pflegevater gewesen ist, so müßt Ihr wenigstens bedenken, daß Ihr über mich nicht so befehlen und gebieten könnt, als sei ich ein Knecht oder ein Säugling.“ „Nicht?“ Die Mutter versetzte ihm einen Schlag ins Gesicht, so daß der Knabe zurücktaumelte. „Ich denke, ich befehle und gebiete so lange über euch, wie ich euch nähre und kleide. Hinaus!“ schrie sie und stampfte mit dem Fuß auf.
Skule war wütend. Aber Ulv sagte leise:
„Es ist besser so, mein Junge - besser, sie ist unvernünftig und rasend, als mit ansehen zu müssen, wie sie dasitzt und vor sich hin starrt, als hätte sie vor Gram den Verstand verloren.“ Gunhild, die Hausmagd, kam ihnen nachgelaufen. Sie sollten sofort zur Herrin in die Webstube kommen - sie wolle mit ihnen und allen Söhnen reden. Kurz und scharf befahl Kristin, daß Ulv nach Breidin reiten und dort mit einem Mann sprechen solle, der zwei Kühe von ihr geliehen hatte. Er solle die Zwillinge mitnehmen, und sie brauchten nicht vor Morgen nach Hause zu kommen. Naakkve und Gaute sandte sie auf die Alm hinauf - sie befahl ihnen, von dort aus sich nach der Pferdeweide im Illmandtal umzusehen, wie dort alles stünde, und auf dem Hinweg sollten sie den Teerbrenner Björn, Isrids Sohn, aufsuchen und ihn bitten, noch heute abend zu ihr zu kommen. Es half nichts, daß die Söhne dagegen einwandten, es sei doch morgen Messetag ...
Am nächsten Morgen, als die Glocken läuteten, verließ die Herrin von Jörundhof das Haus, begleitet von Björn und von Isrid, die das Kind trug. Kristin hatte ihnen gute und geziemende Kleider gegeben - aber die Wöchnerin selbst war so mit Gold geschmückt, daß alle sehen konnten, sie war die Frau und die beiden anderen ihre Untergebenen.
Trotzig und hochmütig begegnete sie dem unwilligen Erstaunen, das, wie sie fühlte, ihr von den Leuten auf der Wiese vor der Kirche entgegenschlug. Ach ja, früher hatte sie einen anderen Kirchgang gefeiert - gefolgt von den vornehmsten Hausfrauen. Sira Solmund sah sie mit unfreundlichen Augen an, als sie mit der Kerze in der Hand vor der Kirchentüre stand - aber er nahm sie in der gewohnten Weise auf.
Isrid war jetzt ein wenig kindisch geworden und begriff nicht viel; Björn war ein merkwürdiger und wortkarger Mann, der sich nie viel um anderer Leute Angelegenheiten kümmerte. Diese beiden hoben das Kind aus der Taufe.
Isrid nannte dem Pfarrer den Namen des Kindes. Es gab ihm einen Stich, er zögerte ein wenig - dann wiederholte er ihn, so daß es zu den Leuten im Langschiff hinunterklang:
„Erlend - im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes...“
Es war, als durchzucke es die ganze versammelte Kirchengemeinde. Kristin empfand dabei eine wilde, rachsüchtige Freude.
Das Kind hatte recht kräftig geschienen, als es geboren wurde. Aber gleich von der ersten Woche an hatte Kristin zu bemerken geglaubt, daß es nicht richtig gedeihen wolle. Sie selbst hatte in dem Augenblick, da sie erlöst wurde, das Gefühl gehabt - jetzt falle ihr Herz zusammen wie ausgebrannte Glut. Und als Isrid ihr das Neugeborene zeigte, bildete sie sich ein, daß der Lebensfunke in diesem Kind nur unsicher flackere. Aber sie schlug sich diese Gedanken aus dem Kopf - so unsäglich oft schon hatte sie zu fühlen geglaubt, daß das Herz in ihr gebrochen sei. Und das Kind war ja ganz groß und sah nicht schwach aus.
Doch ihre Unruhe wegen des Knaben wuchs von Tag zu Tag. Er wimmerte die ganze Zeit vor sich hin und hatte keinen Hunger - oft saß sie lange da und mühte sich mit ihm ab, ehe er ihre Brust nehmen wollte. Und wenn es ihr endlich mit vielen Lockungen gelungen war, ihn zum Saugen zu bringen, schlief er beinahe sofort ein. Sie konnte nicht sehen, daß er wuchs.
In unsäglicher Angst und Herzensqual glaubte sie zu bemerken, daß der kleine Erlend von dem Tag an, da er getauft worden war und den Namen
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