Kristin Lavranstochter 2
steifer Haltung ging Kristin über den Rasenplatz und betrat den Kirchhof. Sie verweilte zuerst einen Augenblick an dem Grab des Kindes und dann an Simon Andressohns Ruhestätte. Dort lag ein grauer, flacher Grabstein - in ihn war das Bildnis eines Mannes mit Gitterhelm und Spangenharnisch eingegraben, der die Hände auf den großen dreieckigen Schild mit dem Wappen stützte. Ringsum auf dem Rand des Steines stand eingehauen: ln pace. Simon Armiger. Proles Dom. Andreae Filii Gudmundi Militis Pater Noster.
Ulv stand vor der Südtüre; er hatte sein Schwert im Rundgang abgelegt.
Da betrat Jardtrud den Kirchhof in Begleitung von vier Männern: es waren ihre beiden Brüder und zwei alte Bauern; der eine war Kolbein Jonssohn, der viele Jahre hindurch Lavrans Björgulvssohns Waffenknecht gewesen war. Sie schritten auf die Priestertüre südlich des Chores zu.
Ulv Haldorssohn sprang hinzu und trat ihnen in den Weg. Kristin hörte sie laut und heftig miteinander reden - Ulv wollte seine Frau und ihre Begleiter daran hindern, weiterzugehen. Alle Leute auf dem Friedhof rückten näher heran; auch Kristin trat hinzu. Da sprang Ulv auf die Steinstufe, auf der die Holzsäulen des Rundganges ruhten, bückte sich und riß die nächstbeste Axt an sich, die er zu fassen bekam, und während der eine von Jardtruds Brüdern ihn herunterzerren wollte, sprang Ulv vor und schleuderte die Axt durch die Luft. Der Hieb traf seinen Schwager an der Schulter, und jetzt liefen die Leute herbei und warfen sich auf ihn. Er schlug um sich und wollte sich losreißen - Kristin sah, daß sein Gesicht dunkelrot, verzerrt und verzweifelt war.
Da traten Sira Solmund und ein Schreiber aus dem Gefolge des Bischofs in die Priestertüre. Sie wechselten einige Worte mit den Bauern. Gleich darauf nahmen drei Männer, die den weißen Schild des Bischofs trugen, Ulv in ihre Mitte und führten ihn zum Friedhof hinaus, während seine Frau und ihre Begleiter den beiden Priestern in die Kirche folgten.
Kristin trat auf die Bauernschar zu.
„Was soll das heißen?“ fragte sie scharf. „Weshalb habt ihr Ulv festgenommen?“
„Du sahst doch, daß er einen Mann auf dem Kirchhof niedergeschlagen hat“, gab ihr einer ebenso zur Antwort. Alle wichen weit von ihr zurück, so daß sie mit ihrem Knaben allein dort an der Kirchentüre stehenblieb.
Kristin glaubte zu verstehen - Ulvs Frau wollte ihn vor dem Bischof verklagen. Und dadurch, daß er sich verrannt und den Frieden des Kirchhofes gebrochen hatte, hatte er sich in eine schwierige Stellung gebracht. Als ein fremder Diakon in die Tür trat und Umschau hielt, ging sie auf ihn zu, nannte ihren Namen und fragte, ob sie vor den Bischof geführt werden könnte.
Drinnen in der Kirche waren alle Kostbarkeiten aufgestellt, aber die Lichter auf den Altären brannten noch nicht. Durch die runden Fensterhöhlen hoch droben fiel ein wenig Sonnenschein herein und strömte zwischen den dunkelbraunen Säulen herab. Im Langschiff war bereits ein Teil der Gemeinde versammelt und hatte auf der Bank Platz genommen, die ringsum an der Wand entlanglief. Im Chor stand die kleine Schar, Jardtrud Herbrandstochter und ihre beiden Brüder - Geirulv mit dem Arm in der Binde Kolbein Jonssohn, Sigurd Geitung und Tore Borghildssohn vor dem Sitz des Bischofs. Hinter und neben dem geschnitzten Stuhl standen zwei junge Priester von Hamar, einige andere Männer aus dem bischöflichen Gefolge und Sira Solmund. - Alle blickten starr vor sich, als die Hausfrau von Jörundhof vortrat und sich vor dem Bischof tief verneigte.
Herr Halvard war ein großer und behäbiger Mann und wirkte über die Maßen ehrwürdig. Unter der rotseidenen Mütze leuchtete das Haar schneeweiß an den Schläfen hervor, und sein länglichrundes und volles Gesicht flammte groß und rot; er hatte eine starke krumme Nase, ein mächtiges Kinn, und der Mund, schmal wie ein Spalt, lag fast ohne Lippen quer zwischen den dichten, barbierten grauweißen Bartwurzeln - aber die buschigen Brauen über seinen funkelnden kohlschwarzen Augen waren noch dunkel.
„Gott sei mit dir, Kristin Lavranstochter“, sagte Herr Halvard. Grübelnd blickte er die Frau unter seinen mächtigen Augenbrauen hervor an. Die eine seiner großen und weißen alten Hände hielt das goldene Kreuz auf seiner Brust umschlossen, in der anderen, die auf seinem dunkelveilchenblauen Gewände ruhte, hielt er eine Wachstafel.
„Was treibt dich dazu, mich hier aufzusuchen, Kristin Lavranstochter?“ fragte der
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