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Kristin Lavranstochter 2

Titel: Kristin Lavranstochter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Undset
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nicht einmal den Schild mitnehmen?“
    Erlend betrachtete seinen Schild. Die Rindshaut darauf hatte so viele Schrammen und Risse, daß der rote Löwe in dem weißen Feld beinahe nicht mehr zu sehen war. Da legte er ihn hin und breitete die Decke wieder darüber.
    „Ich bin gut genug ausgerüstet, um einen Bauernhaufen von meinem Hof zu jagen“, sagte er. Er ging hinaus, verschloß die Stubentüre, stieg aufs Pferd und half dem Knaben, sich hinter ihn zu setzen.
    Der Himmel bewölkte sich mehr und mehr; als sie den Hang ein Stück weiter hinuntergekommen waren, wo der Wald ganz dicht stand, ritten sie im Dunkeln. Erlend merkte, sein Sohn war so müde, daß er sich kaum» festzuhalten vermochte. Da nahm er Lavrans vor sich aufs Pferd und hielt ihn in seinem
    Arm. Der junge blonde Knabenkopf lehnte sich an seine Brust -Lavrans glich von allen Kindern am meisten der Mutter. Erlend küßte ihn auf den Scheitel, während er ihm die Kapuze zurechtrückte.
    „War sie sehr traurig, deine Mutter, als das kleine Kind im Sommer starb?“ fragte er einmal ganz leise.
    Lavrans antwortete:
    „Sie weinte nicht, nachdem er tot war. Aber sie ging jede Nacht zum Kirchhof hinauf. Gaute und Naakkve pflegten ihr zu folgen, wenn sie wegging, aber sie wagten nicht, sie anzusprechen, ebensowenig wagten sie die Mutter sehen zu lassen, daß sie von ihnen bewacht wurde.“
    Nach einer Weile sagte Erlend:
    „Sie weinte nicht... Ich erinnere mich der Zeit, als deine Mutter jung war, da weinte sie so leicht, wie der Tau von den Weiden am Bach herunterträufelt. Sie war so sanft und weich, Kristin, wenn sie sich bei Leuten befand, von denen sie glaubte, daß sie ihr wohlwollten. Später mußte sie lernen, härter zu werden - und meistens war wohl ich die Ursache dazu ...“ „Gunhild und Frida sahen“, erzählte Lavrans, „daß unsere Mutter die ganze Zeit, solange unser jüngster Bruder lebte, stets weinte, wenn sie glaubte, daß niemand es sähe.“
    „Gott steh mir bei“, sagte Erlend leise. „Ich bin ein unkluger Mann gewesen.“
    Sie ritten auf dem Talgrund dahin und hatten den Wind im Rücken. Erlend hüllte den Knaben so gut wie nur möglich in seinen Umhang ein. Lavrans war nahe am Einschlafen - er spürte, daß sein Vater den Geruch eines armen Mannes an sich hatte. Und deutlich entsann er sich aus seiner frühen Kindheit, als sie noch auf Husaby waren, wie der Vater an den Samstagen aus der Badestube kam und dann stets ein paar Kugeln in der Hand hatte. Die rochen so gut, und der feine süße Duft haftete den ganzen Sonntag über in seinen Kleidern und an seinen Handflächen.
    Erlend ritt gleichmäßig und rasch dahin. Hier unten auf der Talsohle war es ganz dunkel. Ohne daran zu denken, wußte er doch jederzeit, wo er sich befand - er kannte den wechselnden Ton im Flußrauschen, wenn das Wasser gleichmäßig dahinzog oder über Felsstufen herabstürzte. Der Weg führte über Klippen, von denen die Funken unter den Pferdehufen aufstoben. Sicheren und leichten Fußes schritt das Tier zwischen dicken Kiefernwurzeln dahin, dort, wo der Pfad durch dichten Wald führte; es rauschte leise und gluckste unter den Hufen auf den nassen Grasflächen, die von dünnen Wasserläufen durchzogen waren. Bei Tagesanbruch würde er daheim sein -und das war gerade die rechte Zeit...
    Eine Weile dachte er beständig an jene ferne mondblaue Frostnacht, da er mit einem Schlitten durch dieses Tal gefahren war - hinter ihm saß Björn Gunnarssohn und hielt ein totes Weib in seinen Armen. Aber die Erinnerung war bleich und fern, und fern und unwirklich war alles, was das Kind erzählt hatte - alles, was sich dort unten zugetragen haben sollte, samt den unsinnigen Gerüchten über Kristin. Er konnte es gleichsam nicht in seinen Kopf bringen. Wenn er erst angelangt war, hatte er wohl immer noch Zeit, darüber nachzudenken, was zu tun war. Wirklichkeit war nichts außer der Spannung und der Angst - jetzt sollte er Kristin bald gegenübertreten.
    So sehr hatte er auf sie gewartet und gewartet. Und nie hatte er daran gezweifelt, daß sie schließlich doch noch kommen würde. Bis er erfuhr, welchen Namen sie dem Kinde gegeben hatte...
    Im frühen Morgengrauen verließen die Leute, die in der Frühmesse eines der Hamarpriester gewesen waren, die Kirche. Die ersten, die heraustraten, sahen Erlend Nikulaussohn in der Richtung auf seinen Hof vorbeireiten und sagten es den anderen. Es entstand einige Unruhe und viel Gerede; man ging den Hang hinunter und blieb

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