Kristin Lavranstochter 2
stand rittlings über dem Gaul. Er griff nach Björgulvs Schulter und stieg über das Tier weg. Gaute kam herzu und faßte den Vater stützend unter den anderen Arm.
„Tötet ihn“, sagte Erlend und deutete auf das Pferd, das sich auf die Seite gewälzt hatte und mit lang ausgestrecktem Hals dalag; um sein Maul stand blutiger Schaum, und es schlug mit den Hufen um sich. Ulv Haldorssohn kam Erlends Befehl nach.
Die Bauern waren zur Seite gewichen. Zwei Männer trugen Tore Borghildssohn zur Verwalterstube, und einer der Bischofsdiener führte seinen verwundeten Genossen weg.
Kristin hatte Lavrans, der wieder zu sich gekommen war, zur Erde gelassen, sie standen da und hielten einander fest. Sie schien nicht zu begreifen, was geschehen war - es war auch so rasch gegangen.
Die Söhne wollten ihren Vater zu dem Haus mit dem Oberstockwerk führen, da sagte Erlend:
„Ich will nicht dorthin - ich will nicht dort sterben, wo Lavrans starb ..."
Kristin lief herbei und schlang ihre Arme um den Hals des Mannes. Ihr erstarrtes Antlitz zerbrach, vom Weinen verzerrt, wie das Eis durch einen Steinwurf zersplittert.
„Erlend, Erlend!“
Erlend beugte seinen Kopf so, daß seine Wange die ihre streifte, stand einen Augenblick so da.
„Helft mir in die Altstube hinüber, Burschen“, sagte er, „ich will dort liegen.“
In aller Eile machten die Mutter und die Söhne im Dachraum dort ein Bett zurecht und befreiten Erlend von seinen Kleidern. Kristin verband seine Wunden. Das Blut strömte stoßweise aus dem Speerstich in der Leiste; in die linke Brust hatte er einen Pfeilschuß erhalten, aber diese Wunde blutete nicht stark.
Erlend fuhr mit seiner Hand über Kristins Kopf.
„Mich kannst du wohl nicht heilen, meine Kristin ...“
Sie blickte auf, verzweifelt - ein tiefer Schauer durchlief ihren ganzen Körper. Sie entsann sich, so hatte auch Simon gesagt - und es dünkte sie das schlimmste Anzeichen, daß Erlend jetzt dieselben Worte sprach.
Er lag im Bett, mit Kopfkissen und anderen Kissen hoch aufgestützt und das linke Bein hochgelagert, um den Blutstrom aus der Leistenwunde abzudämmen. Kristin saß bei ihm. Da ergriff er ihre Hand.
„Entsinnst du dich noch jener ersten Nacht, in der wir hier in diesem Bett miteinander schliefen, du Süße, du? Ich wußte nicht, daß du damals schon einen heimlichen Kummer mit dir herumtrugst, den ich verursacht hatte. Es war auch nicht der erste Kummer, den du um meinetwillen erleiden mußtest, Kristin ...“
Sie nahm seine Hand in ihre beiden. Seine Haut war gesprungen, und rings um die schmalen gerippten Nägel und in den Falten um jeden Knöchel der langen Finger war der Schmutz wie hineingewachsen. Kristin hob die Hand an ihre Brust und an ihren Mund; ihre Tränen flossen darüber.
„Wie heiß deine Lippen sind“, sagte Erlend leise. „Ich wartete und wartete auf dich... Ich sehnte mich so sehr... Zuletzt dachte ich. ich müsse mich beugen, ich müsse zu dir hinunterkommen, da aber hörte ich ... Als ich seinen Tod erfuhr, dachte ich, jetzt sei es wohl zu spät, daß ich zu dir käme ...“
Schluchzend antwortete Kristin:
„Ich erwartete dich immer noch, Erlend. Ich dachte, einmal müßtest du doch wohl an das Grab des Kindes kommen.“
„Dann aber hättest du mich wohl nicht als deinen Freund empfangen“, sagte Erlend, „und bei Gott, du hättest auch keine Ursache dazu gehabt... Wie süß und lieblich du doch warst, meine Kristin“, flüsterte er dann und schloß die Augen.
Sie schluchzte leise und voll Jammer.
„Jetzt bleibt uns nichts anderes mehr zu tun“, sagte der Mann wie zuvor, „als zu versuchen, einander wie christliche Eheleute zu vergeben - wenn du das kannst...“
„Erlend, Erlend ...“ Sie beugte sich zu ihm hinab und küßte das weiße Gesicht. „Du darfst nicht so viel sprechen, mein Erlend ..."
„Ich muß mich wohl beeilen und das sagen, was ich zu sagen habe“, antwortete er. „Wo ist Naakkve?“ fragte er unruhig.
Er erhielt zur Antwort, daß Naakkve noch gestern abend, gleich nachdem er gehört hatte, daß der junge Bruder auf dem Weg nach Sundbu sei, ihm nachgeritten war, so rasch sein Pferd ihn tragen wollte. Er war jetzt wohl ganz außer sich, daß er das Kind nicht gefunden hatte. Erlend seufzte und spielte unruhig mit den Händen auf der Decke.
Die sechs Söhne traten an sein Bett.
„Ja, ich habe nicht gut für euch gesorgt, meine Söhne“, begann der Vater. Er mußte husten und tat dies auf eine eigentümliche und
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