Kristin Lavranstochter 2
angstvoll verzweifelt in das graue, tote Gesicht seines Weibes.
„Kristin“, bettelte er, „meine Kristin - ich bin zu dir heimgekommen.“
Sie schien weder zu hören noch zu sehen. Da ließ Lavrans, der im Arm des Vaters gelegen hatte und nach und nach wach geworden war, sich auf die Erde hinuntergleiten. In dem Augenblick, in dem seine Füße den Boden berührten, brach der Knabe zusammen und blieb wie ein Bündel liegen.
Uber das Gesicht der Mutter flog ein Zittern. Sie beugte sich nieder und nahm den großen Knaben in ihre Arme, sie legte seinen Kopf an ihren Hals, als wäre er noch ein kleines Kind -aber seine langen Beine hingen schlaff an ihr herab.
„Kristin, liebste Freundin“, bat Erlend verzweifelt, „ach, Kristin, ich weiß, ich komme zu spät zu dir ...“
Wiederum lief ein Beben über das Gesicht des Weibes.
„Zu spät ist es nicht“, sagte sie leise und hart. Sie starrte auf den Sohn hinab, der ohnmächtig in ihren Armen lag. „Unser letztes Kind liegt bereits in der Erde - und jetzt kommt Lavrans an die Reihe. Gaute ist zum Mörder geworden - und unsere anderen Söhne... Noch besitzen wir beide gar vieles, was vernichtet werden kann, Erlend!“
Sie wandte sich von ihm ab und schritt mit dem Kind über den Hofplatz. Erlend ritt ihr nach, hielt sich dicht an ihrer Seite.
„Kristin - Jesus! Was soll ich für dich tun? Kristin, willst du denn nicht, daß ich jetzt bei dir bleibe?“
„Jetzt brauchst du nichts mehr für mich zu tun“, sagte Kristin wie zuvor. „Mir kannst du nicht helfen, ob du nun hierbleibst oder dich in den Fluß legst...“
Erlends Söhne waren auf den Altan des Oberstockwerks getreten, jetzt kam Gaute heruntergelaufen, sprang der Mutter entgegen und wollte sie aufhalten.
„Mutter“, bat er. Da sah sie ihn an, und er blieb hilflos stehen.
Am Fuß der Treppe standen einige Bauern.
„Geht weg, Männer“, sagte Kristin und wollte mit ihrer Bürde an ihnen vorbei.
Erlends Gaul warf den Kopf herum und tänzelte unruhig, Erlend wendete das Tier halb um, und Kolbein Jonssohn bekam es beim Zaumzeug zu fassen. Kristin hatte nicht richtig gesehen - jetzt wandte sie sich um und sagte über die Schulter zurück:
„Laß das Pferd los, Kolbein - will er wegreiten, so laßt ihn ..."
Kolbein griff fester zu und antwortete:
„Begreifst du nicht, Kristin, jetzt ist es an der Zeit, daß der Bauer daheim auf seinem Hof bleibt. Zum mindesten mußt du das begreifen“, wandte er sich an Erlend.
Erlend aber schlug dem anderen auf die Hand und trieb den Hengst vorwärts, so daß der alte Mann zurücktaumelte. Ein paar Männer sprangen hinzu. Erlend rief:
„Macht, daß ihr wegkommt! Ihr habt nichts mit meinen Sachen und denen meiner Frau zu schaffen - und ein Bauer bin ich nicht. Ich lasse mich nicht an den Acker festbinden wie das Vieh an seinen Trog. Besitze ich den Hof hier nicht, so besitzt auch der Hof nicht mich.“
Da wandte sich Kristin ihrem Mann voll zu und schrie:
„Ja, reite! Reite, reite zur Hölle, der hast du mich und alles, was du besaßest und unter die Hände bekommen hast, entgegengetrieben!“
Alles, was sich jetzt zutrug, ging so rasch, daß keiner sich dessen so recht bewußt wurde oder es verhindern konnte.
Tore Borghildssohn und noch ein Bauer packten die Frau bei den Armen.
„Kristin, rede doch jetzt nicht so zu deinem Mann ..."
Erlend ritt auf sie ein.
„Wagt ihr es, Hand an mein Weib zu legen ..." Er schwang die Axt und hieb nach Tore Borghildssohn. Der Hieb traf den Mann zwischen den Schulterblättern, und er brach zusammen. Erlend hob die Axt von neuem, doch in dem Augenblick, da er sich in den Steigbügeln aufrichtete, schleuderte ein Mann den Speer nach ihm und traf ihn in die Leiste. Es war der Sohn Tore Borghildssohns, der dies tat.
Der Hengst bäumte sich auf und schlug mit den Vorderhufen nach vorn. Erlend preßte ihm die Knie in die Seiten und beugte sich ein wenig vor, während er die Zügel straff um seine Linke wand und wiederum die Axt erhob, aber gleich darauf verlor er den Halt in dem einen Steigbügel, und das Blut schoß in Strömen über seinen linken Schenkel hinab. Einige Pfeile und Handspeere flogen pfeifend über den Hofplatz. Ulv und die Söhne stürzten sich mit erhobenen Äxten und gezogenen Schwertern auf die Bauernschar - da durchbohrte ein Mann den Hengst unter Erlend. Das Tier brach in die Knie und wieherte wild und schmetternd auf, so daß die Pferde vom Stall her antworteten.
Erlend richtete sich auf,
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