Kristin Lavranstochter 2
dort, wo der Weg nach Jörundhof vom Hauptweg abzweigte, in Gruppen stehen.
Erlend ritt auf den Hofplatz ein, gerade als die Mondsichel zwischen dem Wolkenrand und den Bergkämmen versank, bleich im Tagesgrauen.
Vor der Verwalterstube standen einige Menschen - Jardtruds Verwandte und ihre Freunde, welche diese Nacht über bei ihr gewesen waren. Und als die Hufschläge im Hofplatz ertönten, kamen auch die Männer heraus, die in der Stube unter dem Oberstockwerk Wache gehalten hatten.
Erlend brachte sein Pferd zum Stehen. Er sah über die Bauern hin, rief laut und spöttisch:
„Ist hier ein Gastgelage auf meinem Hof - von dem ich nichts weiß -, oder weshalb seid ihr denn schon in aller Morgenfrühe hier versammelt, gute Leute?“
Zornige und finstere Blicke begegneten ihm von allen Seiten. Erlend saß aufrecht und schlank auf dem hochbeinigen ausländischen Hengst. Das Tier hatte eine kurzgeschnittene Mähne gehabt, jetzt aber war sie zerzaust und ungeschoren, der Gaul war auch im übrigen schlecht gepflegt und hatte graue Haare am Kopf, aber in seinen Augen funkelte es ungewiß auf, und er stampfte und tänzelte unruhig umher, legte die Ohren zurück und schüttelte den kleinen feinen Kopf, so daß die Schaumflocken seine Brust und seinen Bug und auch den Reiter trafen. Das Zaumzeug war einmal rot gewesen und der Sattel mit Gold gepreßt. Jetzt war alles abgenützt, zerschlissen und geflickt. Und der Mann selber war fast wie ein Bettler gekleidet; das Haar, das unter einer einfachen schwarzen Wollmütze hervorquoll, war grauweiß, graue Bartstoppeln wuchsen in dem bleichen, gefurchten Gesicht, aus dem eine große Nase hervorsprang. Aber er saß aufrecht da und lächelte hochmütig auf die Bauernschar hinab; jung sah er aus, trotz allem, und vornehm - und der Haß schlug heiß zu diesem fremden Mann empor, der seinen Kopf hoch und ungebeugt trug - nach all dem Kummer und der Schande und dem Jammer, die er über jene gebracht hatte, welche die Leute des Tales als ihre Vornehmsten betrachteten.
Trotzdem sprach er besonnen, der Bauer, der als erster Erlend antwortete:
„Ich sehe, daß du deinen Sohn gefunden hast, Erlend, da denke ich, du weißt bereits, daß wir hier nicht zum Gastgelage versammelt sind - und sonderbar ist es, daß du in solcher Sache Scherz treiben magst.“
Erlend blickte auf das noch schlafende Kind hinunter - seine Stimme wurde weicher.
„Der Knabe ist krank, das seht ihr doch wohl. Die Nachrichten, die er mir aus dem Tal hier brachte, dünkten mich so unglaublich, daß ich fast dachte, er spräche im Fieberwahn. Einiges davon ist auch Unsinn, das merke ich.“ Erlend sah mit gerunzelter Stirn zur Stalltür hinüber, Ulv Haldorssohn und noch ein paar andere Männer, darunter einer seiner Schwäger, führten gerade einige Pferde heraus.
Ulv ließ sein Tier los und ging rasch auf Erlend Nikulaussohn zu.
„Kommst du endlich, Erlend - und da ist auch der Junge, gelobt seien Christus und die Jungfrau Maria. Seine Mutter weiß nicht, daß er weg war. Wir wollten gerade ausreiten und nach ihm suchen - der Bischof gab mich auf mein Wort hin frei, als er hörte, daß das Kind allein nach Vaage geritten sei; wie geht es Lavrans?“ fragte er ängstlich.
„Gelobt sei Gott, daß ihr den Knaben gefunden habt“, sagte Jardtrud weinend; sie war auf den Hofplatz herausgekommen.
„Bist du auch da, Jardtrud?“ sagte Erlend. „Das wird meine erste Arbeit sein, daß ich dich und dein Gesindel von meinem Hof vertreibe. Dieses Klatschweib wollen wir zuallererst wegschaffen, und danach soll jeder einzelne, der Lügen über mein Weib verbreitet hat, büßen müssen.“
„So geht das nicht, Erlend“, wehrte Ulv Haldorssohn ab. „Jardtrud ist mein Weib. Ich glaube zwar, sie und ich, wir beide haben wenig Lust, beieinander zu bleiben, aber aus meinem Haus soll sie nicht eher fort, als bis meine Schwäger Vieh, Heiratsgut, Zugabe und Morgengabe von mir erhalten haben.“
„Wer ist hier Herr auf dem Hof?“ fragte Erlend wütend.
„Das mußt du Kristin Lavranstochter fragen“, sagte Ulv. „Dort kommt sie.“
Die Hausfrau stand droben auf dem Altan der Neustube -jetzt kam sie langsam die Treppe herunter. Gedankenlos zog sie das Kopftuch ins Gesicht herein - es war ihr nach hinten geglitten - und strich sich ihr Kirchengewand glatt, das sie noch vom Tage zuvor trug. Aber ihr Gesicht war unbeweglich wie Stein.
Erlend ritt ihr entgegen, Schritt für Schritt - ein wenig vornübergebeugt starrte er
Weitere Kostenlose Bücher