Kristin Lavranstochter 2
sollte; aber sie schwieg. Und ähnlich war es mit allem, was sie vom Hof beziehen sollte: bei dem Fleisch vom Herbstschlachten, bei Korn und Mehl, bei dem Futter für ihre vier Kühe und die beiden Reitpferde - sie bekam entweder zuwenig oder schlechte Ware. Gaute ärgerte sich und Gaute schämte sich, das merkte sie -aber er wagte seiner Frau gegenüber nicht aufzutreten, und darum tat er so, als sähe er nichts.
Gaute war ebenso freigebig wie alle Söhne Erlend Nikulaussohn. Bei seinen Brüdern hatte es die Mutter Verschwendungssucht genannt. Aber Gaute war tüchtig und für sich selbst genügsam. Wenn er sich nur die besten Pferde und Hunde und einige gute Falken halten konnte, so wollte er im übrigen nicht anders leben als die Kleinbauern im Tal. Kamen aber Leute auf den Hof, so war er allen Gästen ein liebenswürdiger Wirt, und er zeigte sich freigebig gegen die Bettler - in dieser Beziehung war er ein Bauer nach dem Herzen der Mutter; so, fand sie, mußten die großen Leute leben, die auf ihren Erbhöfen saßen: sie sollten Güter ansammeln, nichts unnötig hinauswerfen, aber auch nicht sparen, wenn die Liebe zu Gott und seinen Armen, die Sorge um die Ehre des Geschlechtes Ausgaben erforderten.
Jetzt sah sie, daß Jofrid die reichen Freunde und angesehenen Verwandten Gautes am liebsten mochte. Hierin jedoch schien Gaute sich am wenigsten seiner Frau fügen zu wollen, er versuchte, an seinen alten Genossen aus der Kindheit festzuhalten - Saufbrüder nannte Jofrid sie, und Kristin erfuhr jetzt auch, daß Gaute doch ein wenig wilder gewesen war, als sie gewußt hatte. Aber seit er verheiratet war, kamen die Freunde nicht mehr ungebeten auf seinen Hof. Gewiß, bis jetzt war noch kein Armer unbeschenkt von Gaute weggegangen; aber wenn Jofrid es sah, gab er viel kleinere Geschenke. Hinter ihrem Rücken war er freigebiger. Es konnte jedoch nicht vieles hinter ihrem Rücken geschehen.
Und Kristin merkte, daß Jofrid eifersüchtig auf sie war. In all den Jahren, seit er ihr armes krankes Kind war, das weder leben noch sterben konnte, hatte die Mutter Gautes Freundschaft und Vertrauen ganz und gar besessen. Jetzt merkte sie, daß Jofrid es nicht leiden mochte, wenn Gaute sich zur Mutter setzte, sie um Rat fragte oder sie bat, so wie früher zu erzählen. Geschah es einmal, daß der Mann sich in der Altstube bei ihr vergaß, so fand Jofrid stets einen Vorwand, um dorthin zu kommen.
Und sie wurde eifersüchtig, wenn die Großmutter sich des kleinen Erlend zuviel annahm.
Draußen auf dem Hofplatz wuchsen in dem kurzen, niedergetretenen Gras einige Pflanzen mit lederähnlichen, derben und dunklen Blättern. Aber jetzt in den sonnigen Tagen des Mittsommers entsprang jedem der kleinen, flachgetretenen Blattkränze ein kurzer Stiel mit zarter hellblauer Blüte daran. Kristin meinte, die alten Außenblätter, narbig wie sie waren von all den Füßen der Menschen und Tiere, die sie zertreten hatten, müßten diesen blühenden, hellen innersten Trieb ebenso lieben, wie sie den Sohn ihres Sohnes liebte.
Der kleine Erlend dünkte sie Leben ihres Lebens, Fleisch ihres Fleisches zu sein, ebenso innig, aber noch süßer als die eigenen Kinder. Wenn sie ihn auf ihrem Schoß halten durfte und sah, wie die eigene Mutter des Knaben sie beide unterdessen gierig bewachte, ihn so rasch wieder an sich nahm, wie sie anstandshalber konnte, ihn voller Besitzerstolz an die Brust legte und voll Gier an sich drückte - da wurde es Kristin Lavranstocher auf eine neue Weise klar, daß sie recht hatten, die Ausdeuter des Wortes Gottes. Das leibliche Leben war unrettbar vom Unfrieden angesteckt; in der Welt, wo die Menschen sich mischten, neue Geschlechter zeugten, sich von fleischlicher Liebe zueinander treiben ließen und ihr eigenes Fleisch liebten, in dieser Welt gab es Herzenskummer und enttäuschte Hoffnungen, so gewiß, wie der Reif im Herbst kommt; Leben wie Tod trennten die Freunde schließlich so gewiß, wie der Winter die Bäume von ihren Blättern trennt.
Dann geschah es eines Abends, vierzehn Tage vor der Olavsmesse, daß eine Bettlerschar nach Jörundhof kam und um Obdach für die Nacht bat. Kristin stand auf dem Altan der Altstube - ihrem jetzigen Reich -, sie hörte, wie Jofrid herauskam und den Bettlern zur Antwort gab, zu essen könnten sie wohl haben, aber Obdach vermöchte sie ihnen nicht zu gewähren: „Wir sind selber viele Leute und haben die Schwiegermutter auf dem Hof - sie verfügt über die Hälfte der
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