Kristin Lavranstochter 2
unfreundlich gegen Arme.
Ich bin es nicht, Mutter, aber Jörundhof ist nicht mehr der vornehme Sitz eines Mannes aus dem Königsgefolge und eines Reichen, so, wie er es zu den Zeiten Eueres Vaters und Euerer Mutter war. Ihr wart das Kind reicher Leute, bewegtet Euch unter reichen und mächtigen Verwandten, Ihr machtet eine reiche Heirat, und Euer Gemahl führte Euch zu noch größrer Macht und Pracht, als Ihr von Jugend an gewohnt wart. Keiner darf erwarten, daß Ihr in Euerem Alter so erfassen könnt, wie anders Gaute gestellt ist, der sein väterliches Erbe verloren hat und die Hälfte des Reichtums Eueres Vaters mit vielen Brüdern teilen muß. Ich aber, ich wage nicht, zu vergessen, daß ich ihm nicht viel mehr ins Haus brachte als das Kind, das ich unterm Herzen trug, und außerdem Gaute eine schwere Buße auflud, da ich seiner Gewalttat gegen meine Verwandten zugestimmt hatte. Dies wird ja einmal besser werden - aber es ist doch meine Pflicht, Gott um ein langes Leben für meinen Vater zu bitten. Wir sind junge Leute, Gaute und ich, wir wissen nicht, wie viele Kinder uns beschert sein werden. - Ihr dürft mir glauben, Schwiegermutter, ich denke an nichts anderes als nur an das Beste für meinen Mann und unsere Kinder ...“
„Ich glaube das, Jofrid.“ Kristin blickte ernsthaft in das glühende Gesicht der Schwiegertochter. „Und nie habe ich mich in deine Angelegenheiten gemischt, und nie habe ich geleugnet, daß du meinem Sohn eine tüchtige Frau und ein gutes, getreues Weib bist. Aber du mußt mir in meinen Dingen freie Hand lassen, so, wie ich es gewohnt bin. Du hast recht, wenn du sagst, ich sei eine alte Frau und tauge nicht mehr dazu, Neues zu lernen.“ Die Jungen begriffen, daß die Mutter ihnen nichts weiter zu sagen hatte, und so nahmen sie gleich darauf Abschied.
Wie stets mußte Kristin Jofrid recht geben - zunächst. Aber wenn sie darüber nachdachte, so dünkte es sie trotzdem nicht richtig. Es war völlig falsch, Gautes Almosen mit denen ihres Vaters zu vergleichen. Seelengaben für Arme und Fremde, die im Tal starben, Unterstützung vaterloser Mädchen, die heiraten wollten, die Biergelage an jenen Feiertagen, die den Lieblingsheiligen des Vaters geweiht waren, die Zehrgelder an
Kranke und Sünder, die Sankt Olav aufsuchen wollten - selbst wenn Gaute reicher gewesen wäre, hätte niemand von ihm erwartet, daß er sich in solche Ausgaben stürzen sollte; Gaute dachte nicht mehr an seinen Schöpfer, als er mußte. Er war gebefreudig und gutherzig, aber Kristin hatte begriffen, daß es Ehrfurcht gewesen war, was ihr Vater vor den Armen, denen er half, empfunden, weil Jesus sich das Leben eines armen Mannes erwählt hatte, als er Mensch wurde. Und der Vater hatte harte Arbeit geliebt und stets gemeint, alles Handwerk sei dadurch geehrt, daß die Mutter Gottes, Maria, sich und die Ihren mit ihrer eigenen Hände Arbeit ernährte, obgleich sie die Tochter reicher Leute war und von Königen und Hohenpriestern im Judenlande abstammte.
Zwei Tage später, zeitig am Morgen, während Jofrid noch haibangezogen herumging und Gaute im Bett lag, kam Kristin zu ihnen. Sie trug ein Gewand und einen Umhang aus grauem Fries, hatte einen breitrandigen schwarzen Filzhut über das Kopftuch aufgesetzt und starke Schuhe an den Füßen. Gaute wurde blutrot, als er die Mutter in dieser Tracht sah. Kristin sagte, sie wolle zum Sankt-Olavs-Fest nach Nidaros gehen und sie bitte den Sohn, in dieser Zeit ihr Haus zu versorgen.
Gaute begann ihr heftig davon abzureden, er wollte, daß sie zum mindesten Pferde und Knecht leihe, ihre Magd mitnehme -aber seine Rede war so, wie man sie sich eben von einem Mann erwarten kann, der nackt vor den Augen seiner Mutter im Bett liegt: ohne große Selbstsicherheit. Kristin tat er in seiner Verwirrung so leid, daß sie auf eine Ausrede verfiel und sagte, sie habe einen Traum gehabt.
„Ich sehne mich auch danach, deine Brüder wiederzusehen...“, aber da mußte sie sich abwenden; noch hatte sie kaum in ihrem Herzen sich einzugestehen gewagt, wie sehr sie sich danach sehnte und sich zugleich davor ängstigte, die beiden ältesten Söhne wiederzusehen.
Gaute wollte die Mutter unbedingt ein Stück weit begleiten. Während er sich anzog und etwas zu essen erhielt, saß Kristin da und lachte und spielte mit dem kleinen Erlend - er plauderte hellwach und wohlausgeschlafen vor sich hin. Zum Abschied küßte sie Jofrid, und das hatte sie noch nie getan.
Auf dem Hofplatz stand das ganze
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