Kristin Lavranstochter 2
Kruzifix errichtet war, schwindelnd hoch unter dem Triumphbogen.
Während die Morgensonne die hohen bunten Scheiben zutiefst drinnen in dem Säulenwald des Hochchors entzündete und der Glanz wie von roten und braunen und grünen und blauen Edelsteinen den Lichterglanz des Altars und der goldenen Truhe dahinter verdunkelte, hörte Kristin die letzte Vigilie - den Frühgesang. Sie wußte, daß die Lesestücke bei diesem Gottesdienst von den Heilungswundern Gottes handelten, die er durch seinen getreuen Ritter, König Olav Haraldssohn, vollbrachte. Da hob sie das fremde kranke Kind empor und betete um seine Heilung.
Aber sie fror nach dem langen Aufenthalt in der Kirche so sehr, daß ihre Zähne aufeinanderschlugen, und sie fühlte sich vom Fasten erschöpf!. Der Geruch von den vielen Menschen und die erstickende Ausdünstung der Kranken und Armen vermischten sich mit dem Qualm der Wachskerzen und senkte sich seltsam fett und feucht und schwer auf die am Boden Knienden herab, kalt in dem kalten Morgen. Aber eine dicke freundliche und fromme Bäuerin, die dagesessen und zu Füßen des Pfeilers dicht hinter Kristin ein wenig geschlummert hatte -sie saß auf einem Bärenfell und hatte ein zweites über ihr lahmes Bein gebreitet erwachte jetzt und zog Kristins müden Kopf auf ihren breiten Schoß herab. „Ruhe dich jetzt ein wenig aus, Schwester - du kannst es brauchen, denke ich.“
Kristin schlief in dem Schoß der fremden Frau ein und träumte:
Sie trat über die Schwelle der alten Feuerstube daheim. Sie war jung und unverheiratet, denn sie sah deutlich ihre dicken braunen Zöpfe, die ihr offen vorne über die Schultern hinabhingen. Sie war mit Erlend zusammen, denn dieser richtete sich gerade auf, nachdem er vor ihr in gebückter Haltung durch die Türe eingetreten war.
An der Feuerstätte saß ihr Vater und schäftete Pfeile - auf seinen Knien lagen viele Bündel dünner Sehnen, und zu seinen beiden Seiten waren Haufen von Pfeilspitzen und zurechtgeschnitzten Schäften auf der Bank aufgestapelt. In dem Augenblick, da sie und Erlend eintraten, beugte er sich über den Gluthaufen und wollte den kleinen dreibeinigen Eisentopf nehmen, den er stets benutzte, um Harz darin zu schmelzen. Aber jäh zog er die Hand wieder zurück, schüttelte sie in der Luft und schob dann die verbrannten Finger in den Mund und saugte daran, während er ihr und Erlend den Kopf zuwandte und sie mit gerunzelter Stirn und einem Lächeln um die Lippen betrachtete.
Dann erwachte sie, das Gesicht von Tränen naß.
Während des Hochamts, als der Erzbischof selbst den Dienst vor dem Hauptaltar versah, lag sie auf den Knien. Die Weihrauchwolken wallten durch die tönende Kirche, in der jetzt bunter Sonnenschein und der Glanz der Wachskerzen ihr Licht miteinander vermischten, der frische, würzige Räucherduft breitete sich aus und verdeckte den Geruch der Armut und Krankheit. Mit einem Herzen, zum Bersten voll eines Gefühls der Verbundenheit mit der Schar Armer und Kranker, in die Gott sie hineingestellt hatte, betete sie in einem Rausch schwesterlicher Zärtlichkeit für alle, die mit ihr arm waren und so litten, wie sie selbst gelitten hatte.
„Ich will aufstehen und zu meinem Vater heimgehen ...“
6
Das Kloster lag auf einem kleinen Höhenzug in der Nähe des Fjords, so daß das Rauschen des Kiefernwaldes, der die Hänge des Hügels im Norden und Westen bedeckte und die Aussicht zum Meer hinunter verbarg, bei fast allen Winden von dem Dröhnen der Brandung am Strande übertönt wurde.
Kristin hatte den Kirchturm über den Wald hinausragen sehen, als sie mit Erlend hier vorbeisegelte, aber die Wallfahrt zum Kloster, die ihre Urahne gestiftet hatte und zu der Erlend sich einige Male verpflichtet gefühlt hatte, war nie ausgeführt worden. Sie war noch nie beim Kloster Rein an Land gegangen, ehe sie nun hierherkam, um zu bleiben.
Sie hatte gedacht, das Leben hier würde so sein, wie sie es von den Nonnenklöstern in Oslo oder auf Bakke her kannte, aber es war sehr viel anders und sehr viel stiller. Hier waren die Schwestern wahrhaftig für diese Welt gestorben. Frau Ragnhild, die Äbtissin, rühmte sich, seit fünf Jahren nicht mehr in der Stadt gewesen zu sein, und ebensolange war es her, seit eine der Nonnen ihren Fuß über die Grenzen des Klosters gesetzt hatte.
Hier wurden keine Kinder zur Erziehung aufgenommen, und um die Zeit, da Kristin nach Rein kam, gab es auch keine Novizin im Kloster; es war so viele Jahre her, seit eine
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