Kristin Lavranstochter 2
halten mußte. Wohl kamen ihm sein Alter und der Ruf eines unbefleckten und sittsamen Lebenswandels, demütige Gottesfurcht und seine Kenntnis sowohl des kanonischen Rechtes als auch der Landesgesetze sehr zustatten, aber er mußte in all seinem Tun und Lassen äußerst vorsichtig sein. Er wohnte zusammen mit dem anderen Priester und den Kirchendienern in einem kleinen Hof, der nordöstlich des Klosters lag. Dort wurden auch die Mönche beherbergt, die dann und wann in verschiedenen Angelegenheiten von. Tautra herüberkamen. Kristin wußte, wenn sie es noch erleben würde, daß Nikulaus die Priesterweihe empfing, so würde sie auch einmal ihren ältesten Sohn die Messe hier in der Klosterkirche lesen hören.
Kristin Lavranstochter war zuerst als Pfründnerin aufgenommen worden. Aber nachdem sie vor Frau Ragnhild und den Schwestern im Beisein Sira Eilivs und zweier Mönche von Tautra keuschen Lebenswandel, Gehorsam gegen die Äbtissin und die Schwestern gelobt und zum Zeichen ihrer Entsagung aller Herrschaft über irdische Güter ihr Siegel in die Hände Sira Eilivs gegeben hatte, der es in Stücke zerbrach, durfte sie eine Tracht ähnlich wie die der Schwestern tragen: ein grauweißes wollenes Gewand, aber ohne Skapulier, ein weißes Kopftuch und einen schwarzen Schleier. Sie sollte, wenn einige Zeit verstrichen sei, um die Aufnahme als geweihte Nonne in der Schwesternschaft nachsuchen.
Aber immer noch fiel es ihr schwer, nicht allzuviel an die Vergangenheit zu denken. Für die Vorlesungen bei der Mahlzeit im Refektorium hatte Sira Eiliv ein Buch über Christi Leben in die norwegische Sprache übertragen, das der General der Minoriten, der überaus gelehrte und fromme Doktor Bonaventura, gedichtet hatte. Und während Kristin zuhörte und ihre Augen sich mit Tränen füllten, wenn sie daran dachte, wie himmlisch es wohl sein müßte, Christi und seiner Mutter Kreuz und Schmerzen, Armut und Demut so lieben zu können, wie es hier geschrieben stand - mußte sie dennoch an einen Tag auf Husaby denken, da Gunnulv und Sira Eiliv ihr das lateinische Buch zeigten, das diesem hier im Kloster als Vorlage gedient hatte. Es war ein dickes kleines Buch, auf ganz dünnem und leuchtendweißem Pergament geschrieben, sie hätte nie geglaubt, daß man ein Kalbsfell so fein bearbeiten könnte, und es enthielt die schönsten Bilder und Kapitelbuchstaben, die Farben glühten wie Edelsteine gegen das Gold. Und Gunnulv erzählte damals lachend, und Sira Eiliv stimmte mit seinem stillen Lächeln bei, wie sie durch diesen Bucherwerb so mittellos geworden waren, daß sie ihre Kleider verkaufen und sich ihr Essen mit den Armen in einem Kloster erbitten mußten, bis sie erfuhren, daß einige norwegische Geistliche nach Paris gekommen waren, von denen sie dann Geld geliehen erhielten.
Wenn die Schwestern nach dem Frühgesang ins Dormitorium zurückkehrten, blieb Kristin allein in der Kirche. Im Sommer dünkten sie die Morgen süß und schön hier drinnen, im Winter aber war es entsetzlich kalt, und sie fürchtete sich im Dunkeln zwischen all den Leichensteinen, obgleich sie ihre Blicke unablässig auf die kleine Lampe gerichtet hielt, die stets vor dem elfenbeinernen Turm mit der Hostie brannte. Aber gleichgültig, ob Winter oder Sommer, sie dachte, während sie in ihrem Winkel im Chor der Nonnen verweilte, stets daran, daß jetzt Naakkve und Björgulv wachten und für die Seele ihres Vaters beteten, und es war Nikulaus gewesen, der sie gebeten hatte, jeden Morgen nach dem Frühgesang diese Gebete und Bußpsalmen mit ihnen zu sprechen.
Immer, immer sah sie dann diese beiden vor sich, wie an jenem regengrauen Tag, als sie im Kloster draußen war. Als Nikulaus plötzlich in der Sprechstunde vor ihr gestanden, seltsam groß und fremd in der grauweißen Mönchskutte, die Hände unter dem Skapulier verborgen, ihr Sohn, und dennoch so verändert. Es war hauptsächlich seine Ähnlichkeit mit dem Vater, die sie so stark ergriff - es war, als sähe sie Erlend in der Mönchskutte.
Während sie damals so dasaßen und miteinander sprachen und sie über alles berichten mußte, was sich seit seinem Weggang auf dem Hof ereignet hatte, wartete und wartete sie, schließlich fragte sie ängstlich, ob nicht Björgulv bald käme.
„Ich weiß nicht, Mutter“, antwortete der Sohn. Ein wenig später sagte er: „Für Björgulv war es ein harter Kampf, sich unter sein Kreuz zu beugen und Gott zu dienen .. . Und es schien ihn ängstlich zu machen, als er hörte,
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