Kristin Lavranstochter 2
Dies erwies sich als eine Wendung zum Leben - wie die Menschen auch späterhin erkennen lernten, daß jene, bei denen die Seuche mit Beulen auftrat, bisweilen geheilt wurden, die anderen aber, bei denen sie von blutigem Speichel begleitet war, alle starben.
Durch das Vorbild der Äbtissin und dadurch, daß man nun einen Pestkranken sah, der nicht starb, faßten die Nonnen gleichsam neuen Mut. - Sie mußten jetzt selber melken und das Vieh versorgen, ihr Essen bereiten und Wacholder und frische Zweige zum Räuchern heimholen - jede mußte das tun, was gerade notwendig war. Sie pflegten die Kranken, so gut sie konnten, und gaben Arzneimittel aus - Theriak und Kalmuswurzel waren aufgebraucht - sie verteilten Ingwer, Pfeffer und Safran und Essig gegen die Ansteckungsgefahr, Milch und Essen - das Brot ging zu Ende, und sie buken neues während der Nacht - die Gewürze gingen zu Ende, und die Leute mußten Wacholder und Kiefernnadeln gegen die Ansteckung kauen. Eine Schwester nach der anderen brach zusammen und starb, die Sterbeglocken der Klosterkirche und der Gemeindekirche
läuteten früh und spät in der schweren Luft, denn der unnatürliche Nebel blieb liegen, es schien ein geheimer Zusammenhang zwischen dem Nebel und der Seuche zu bestehen. Manchmal kam es zu einem eisigen Nebel, Eisnadeln und halbgefrorener Staubregen rieselten herunter, die Erde gefror und bedeckte sich mit Reif - dann kam wieder warmes Wetter und Nebel. Für ein schlimmes Zeichen hielten es die Leute, daß die Seevögel nun plötzlich wegblieben. Sonst hielten sie sich zu Tausenden an dem schmalen flußartigen Fjordarm zwischen den flachen Wiesenhängen im Tale auf, der sich nördlich des Reinklosters zu einem Binnensee mit Salzwasser ausdehnt. Statt ihrer aber kamen Raben in unerhörter Anzahl - auf jedem Stein längs dem Wasser saßen die schwarzen Vögel im Nebel und ließen ihr scheußliches Gekrächze ertönen, während Krähenscharen, so zahlreich, wie man sie bisher noch nie gesehen hatte, sich in allen Wäldern und Hecken niederließen und mit häßlichem Geschrei über das arme Land hinflogen.
Dann und wann dachte Kristin an ihre eigenen Angehörigen: an die Söhne, die so weit verstreut waren, an die Kindeskinder, die sie nie sehen sollte - des kleinen Erlend goldener Nacken schwebte vor ihren Blicken. Aber sie alle wurden für sie fern und bleich. Jetzt schien es fast, als seien in dieser Not alle Menschen einander gleich nahe und gleich fern. Und außerdem hatte sie den ganzen Tag vollauf zu tun - es kam ihr jetzt gut zustatten, daß sie an alle Arbeit gewöhnt war. Während sie dasaß und melkte, standen arme kleine Kinder, die ihr bisher noch nie unter die Augen gekommen waren, plötzlich bei ihr, und sie dachte kaum daran, zu fragen, wo sie her seien oder wie es bei ihnen daheim ginge; sie gab ihnen zu essen und führte sie in den Kapitelsaal oder in eine andere Stube, wo ein Feuer brannte, oder legte sie in ein Bett im Dormitorium.
Fast mit Erstaunen merkte sie, daß sie in dieser Unglückszeit, da es doch mehr denn je notwendig gewesen wäre, daß jeder Mensch sich der Gebete befleißigte, kaum Zeit fand, sich zum Gebet zu sammeln. Sie warf sich vor den Sakramenten in der Kirche auf die Knie, sobald sie einen freien Augenblick fand, aber es kam nur zu wortlosen Seufzern und matt gesprochenen Paternostern und Ave. Sie wußte selbst nicht, daß das nonnenähnliche Wesen und Gebaren, das sie sich in diesen zwei Jahren angewöhnt hatte, mehr und mehr von ihr abfiel und daß sie ganz die Hausfrau von früher wurde, je mehr die Schar der
Nonnen einschrumpfte, die Klosterbräuche verfielen und je länger die Äbtissin daniederlag, schwach und mit halbgelähmter Zunge - und die Arbeit für die wenigen anwuchs, die noch übriggeblieben waren und sie verrichten mußten.
Eines Tages erfuhr sie zufällig, daß Skule noch in Nidaros sei, seine Schiffsmannschaft war ausgestorben oder davongelaufen, und er hatte keine neuen Männer finden können. Er war gesund, aber er hatte sich einem wilden Leben in die Arme geworfen, gleich so vielen verzweifelten jungen Menschen. Wer sich fürchtet, dem ist der Tod gewiß, sagten sie, und so betäubten sie sich mit Zechen und Trinken, spielten und tanzten und schwärmten mit Weibern. Selbst die Frauen ehrbarer Männer und die jungen Töchter aus den besten Sippen liefen in dieser schlimmen Zeit aus ihrem Heim davon; in Gesellschaft von Straßendirnen lärmten sie in Gildenhallen und Gasthäusern
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