Kristin Lavranstochter 2
zwischen den verwilderten Männern. Gott vergebe ihnen, dachte die Mutter, aber es war, als sei ihr Herz zu müde, um viel darüber trauern zu können.
Aber auch unter dem Landvolk gab es gewiß viel Sünde und Verwilderung. Im Kloster erfuhr man nur wenig davon, aber hier hatte man ja auch nicht viel Zeit, darüber zu sprechen. Sira Eiliv jedoch, der ohne Rast und Ruhe überall zu Kranken und Sterbenden ging, sagte eines Tages zu Kristin, daß die Not der Seelen größer sei als die des Leibes.
So kam ein Abend, an dem sie in der Konventsstube rings um das Feuer im Kamin saßen. Die kleine Schar der Menschen, die noch im Kloster lebten. Vier Nonnen und zwei Laienschwestern, ein alter Pferdeknecht und ein halberwachsener Knabe, zwei Almosenempfängerinnen und einige Kinder, sie alle krochen um das Feuer zusammen. Auf der Bank mit dem Hochsitz, wo ein großes Kruzifix an der hellen Mauer durch die Dämmerung leuchtete, lag die Äbtissin; Schwester Kristin und Schwester Turid saßen ihr zu Häupten und zu Füßen.
Es waren neun Tage vergangen seit dem letzten Todesfall unter den Schwestern und fünf Tage, seit im Kloster oder in den nächstgelegenen Häusern jemand gestorben war. Die Pest schien auch in der Gemeinde im Abnehmen zu sein, sagte Sira Eiliv, und zum erstenmal seit fast drei Monaten senkte es sich wie eine Ahnung von Frieden, Sicherheit und Behagen über die schweigsamen und müden Menschen, die beisammensaßen.
Die alte Schwester Torunn Marta ließ ihr Paternosterband in den Schoß sinken, ergriff die Hand des kleinen Mädchens, das neben ihren Knien stand.
„Was meint sie wohl? Ja, Kind, jetzt glauben wir zu sehen, daß Maria, die Mutter Gottes, ihr Erbarmen nie lange Zeit von ihren Kindern abwendet.“
„Nein, es ist nicht die Jungfrau Maria, Schwester Torunn, es ist Hel. Sie verläßt diese Gemeinde mit Rechen und Besen, wenn sie einen Schuldlosen im Friedhof opfern - morgen ist sie weit weg...“
„Was meint sie?“ fragte die Nonne wiederum unruhig. „Pfui, Magnhild, was führst du für heidnische Reden, du verdientest, die Rute zu kosten.“
„Sag uns, was das ist, Magnhild - ohne Furcht.“
Schwester Kristin stand hinter ihnen, sie fragte atemlos. Sie erinnerte sich an etwas - von Frau Aashild hatte sie in ihrer Jugend etwas gehört, von entsetzlichen, unaussprechlichen, sündigen Ratschlägen, mit denen der Teufel verzweifelte Menschen versucht...
Die Kinder waren in der Dämmerung in dem Hain unten bei der Gemeindekirche gewesen, und einige Knaben waren zu einer benachbarten Hütte hinübergegangen. Dort hatten sie ein paar Männer belauscht, die sich miteinander berieten. Es schien, als hätten diese Männer einen kleinen Knaben gefangen, Tore von Steinunn am Strand - und heute nacht wollten sie ihn der Pestriesin Hel opfern. Die Kinder redeten eifrig, stolz darüber, die Aufmerksamkeit der Erwachsenen auf sich gezogen zu haben. Sie schienen gar nicht auf den Gedanken zu kommen, den armen Tore zu bemitleiden - er war allerdings auch ein Ausbund, bettelte stets in der Gemeinde, nie aber im Kloster, und wenn Sira Eiliv oder die Ausgesandten der Äbtissin seine Mutter aufsuchten, lief diese davon oder wollte sie nicht anhören, gleichviel, ob man liebevoll oder hart mit ihr sprach. Sie hatte zehn Jahre lang am Hafen in Nidaros gelebt, dann aber sich eine Krankheit zugezogen, die sie so übel zurichtete, daß sie schließlich ihr Leben nicht mehr so verdienen konnte, wie sie es gewohnt war, und so kam sie nun in die Gemeinde hierher und wohnte in einer Hütte draußen am Strand. Trotzdem geschah es immer noch, daß der eine oder andere Bettler oder derlei Leute eine Weile mit ihr zusammen hausten. Wer der Vater des Knaben war, wußte sie selbst nicht.
„Wir müssen hingehen“, sagte Kristin, „wir können doch nicht hier sitzen bleiben, während draußen vor unseren Türen getaufte Seelen an den Teufel verkauft werden.“
Die Nonnen begannen zu klagen. Diese Männer seien als die schlimmsten in der Gegend bekannt, rohe, gottlose Burschen, und die letzte Not und Verzweiflung hätten wohl reine Teufel aus ihnen gemacht. Wenn nur Sira Eiliv daheim wäre, jammerten sie. Während der Pestzeit hatte die Stellung des Priesters sich dahin verändert, daß die Schwestern von ihm erwarteten, er müsse alles können.
Kristin rang die Hände.
„Und wenn ich allein gehen muß - Mutter, gebt Ihr mir Urlaub, dorthin zu gehen?“
Die Äbtissin packte sie beim Arm, so daß sie leise aufschrie.
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