Kristin Lavranstochter 2
sie da und rang mit dem Tode.“
„Sie lag da und ..."Kristin sah die Männer entsetzt an. „Holte ihr denn niemand den Priester? Liegt die Leiche
- dort - und hat keiner so viel Erbarmen gehabt, sie in geweihte Erde zu legen - und ihr Kind wollt ihr..."
Bei dem Entsetzen der Frau war es, als gerieten die Männer selber vor Schrecken und Scham ganz außer sich, sie schrien gleichzeitig auf sie ein; und über alle anderen drang eine Stimme hinaus:
„Hol sie selber, Schwester!“
„Ja! Wer von euch geht mit mir?“
Niemand antwortete.
Arntor rief:
„Du mußt wohl allein gehen!“
„Morgen - sobald es hell wird - werden wir sie holen, Arntor, ich selbst werde ihr eine Ruhestätte und eine Seelenmesse kaufen..
„Geh hin, geh jetzt, heute nacht - dann will ich glauben, daß ihr von Heiligkeit und Tugend trieft ..
Arntor hatte sein Gesicht dicht an das ihre gebracht, Kristin stieß ihm die Faust hinein, sie schluchzte einmal laut auf vor Wut und Entsetzen.
Frau Ragnhild kam herzu und stellte sich zu Kristin, und sie mühte sich ab, ein Wort hervorzubringen. Die Nonnen riefen, morgen solle die Tote in ein Grab gelegt werden. Aber in Arntor schien der Teufel gefahren zu sein, denn er hörte nicht auf zu schreien:
„Geht jetzt - dann wollen wir an Gottes Barmherzigkeit glauben...“
Kristin richtete sich auf, weiß und steif.
„Ich gehe.“
Sie hob das Kind auf und legte es Schwester Torunn in die Arme, stieß die Männer zur Seite und lief rasch und über die Erdhaufen stolpernd zum Gatter hin, während die Nonnen ihr klagend nachrannten und Schwester Agnes rief, sie wolle mitgehen. Die Äbtissin schüttelte die geballte Hand, Kristin solle doch stehenbleiben, aber diese schien ganz außer sich zu sein . . .
In dem Augenblick entstand in der Dunkelheit bei der Kirchhofspforte eine heftige Unruhe - gleich darauf fragte Sira Eilivs Stimme, wer denn hier eine Versammlung abhalte. Er trat in den Lichtkreis vor - sie sahen, daß er eine Axt in der Hand hielt. Die Nonnen drängten sich um ihn, die Männer versuchten eilig, in der Dunkelheit zu verschwinden, wurden jedoch beim Tor von einem Mann aufgehalten, der ein gezogenes Schwert in der Hand trug. Es entstand Getümmel und Waffenlärm, und Sira Eiliv rief laut, wehe dem Mann, der jetzt den Friedhofsfrieden störe. Kristin hörte einige sagen, der starke Schmied' aus der Credogasse sei gekommen, gleich darauf tauchte ein großer und breitschultriger weißhaariger Mann an ihrer Seite auf - es war Ulv Haldorssohn.
Der Priester reichte Ulv die Axt - er hatte sie von ihm geliehen -, nahm der Nonne den Knaben am Tore ab und sagte: „Es ist schon über Mitternacht - immerhin ist es am besten, ihr kommt alle mit in die Kirche; über diese Sache will ich noch heute nacht Klarheit haben.“
Niemand verfiel auf den Gedanken, ihm nicht zu gehorchen. Als sie jedoch auf den Weg hinausgekommen waren, löste sich eine der grauen Frauengestalten aus der Schar los und wollte den Weg in den Wald einschlagen. Der Priester rief und befahl ihr, mit den anderen zu kommen. Kristins Stimme antwortete aus der Dunkelheit - sie war bereits ein Stück weit entfernt:
„Ich kann nicht kommen, Sira Eiliv, ehe ich mein Versprechen eingelöst habe ...“
Da setzten ihr der Priester und einige andere nach. Sie stand an den Zaun gelehnt, als Sira Eiliv sie einholte. Er hob das Licht hoch - sie war entsetzlich weiß im Gesicht, als er ihr jedoch in die Augen sah, erkannte er, daß sie nicht irrsinnig geworden war, wie er zuerst befürchtet hatte.
„Komm heim, Kristin“, sagte er. „Morgen wollen wir dich hinbegleiten, einige Männer - ich selbst werde mit dir gehen.“ „Ich habe mein Wort gegeben. Ich kann nicht heimgehen,
Sira Eiliv. ehe ich das ausgerichtet habe, was ich versprochen habe.“
Der Priester stand eine Weile da, dann sagte er leise: „Vielleicht hast du recht. So geh denn, Schwester, in Gottes Namen.“
Seltsam schattenähnlich wich Kristin in das Dunkel zurück, das ihre graue Gestalt verschlang.
Als Ulv Haldorssohn neben ihr auftauchte, sagte sie - sie sprach stoßweise und heftig:
„Geh zurück - ich habe dich nicht gebeten, mir zu folgen.“
Ulv lachte leise.
„Kristin, meine Herrin - hast du noch nicht erkannt, daß manches geschehen kann, ohne daß du befiehlst oder darum bittest - und auch das weißt du nicht, scheint mir, sooft du es auch schon erlebt hast - daß du nicht stets alles allein durchführen kannst, was du auf dich nimmst, auch du
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