Kristin Lavranstochter 2
Traumes war ganz verschwunden -ein wenig außer sich mußte sie wohl gewesen sein, das begriff sie, aber es war gut, daß sie dieses Werk hatte verrichten können, daß es ihr gelungen war, den kleinen Knaben zu retten und diese armen Menschen daran zu hindern, sich mit einer solchen Missetat zu beladen. Sie wußte, wie glücklich sie darüber sein mußte, daß ihr das Glück vergönnt war, dies noch kurz vor ihrem Tode zu vollbringen - aber sie vermochte sich nicht so zu freuen, wie sie sollte, sie fühlte mehr eine Zufriedenheit, ähnlich wie seinerzeit, wenn sie daheim auf Jörundhof im Bett lag, müde nach einem wohlvollendeten Tagewerk. Und dann mußte sie Ulv danken ...
Sie hatte seinen Namen genannt, und er war wohl halb verborgen bei der Türe gesessen und hatte es gehört, denn nun kam er heran und stand vor ihrem Bett. Sie streckte ihm die Hand hin, die er ergriff und gut und fest drückte.
Plötzlich wurde die Sterbende unruhig, ihre Hand griff tastend in die Halsfalten des Hemdes.
„Was ist, Kristin?“ fragte Ulv.
„Das Kreuz“, flüsterte sie und zog mühsam das vergoldete Kreuz ihres Vaters hervor. Es war ihr eingefallen, daß sie ja gestern der Seele dieser armen Steinunn eine Gabe versprochen hatte. Sie hatte nicht daran gedacht, daß sie nichts mehr in der Welt besaß. Sie verfügte jetzt über nichts weiter als nur über dieses Kreuz, das sie von ihrem Vater erhalten hatte - und über ihren Brautring. Den trug sie noch an der Hand.
Sie zog ihn ab und betrachtete ihn. Schwer lag er in der Hand, aus reinem Gold, mit großen roten Steinen besetzt. Erlend - dachte sie, und es dünkte sie, sie solle lieber diesen hier weggeben, sie wußte nicht, weshalb, aber es schien ihr, daß sie dies tun müsse.
Gequält schloß sie die Augen und gab Ulv den Ring.
„Wem hast du ihn vermeint?“ fragte er leise. Und als sie nicht antwortete: „Willst du, daß ich ihn Skule gebe?“
Kristin schüttelte den Kopf, hielt die Augen fest geschlossen. „Steinunn - ich gelobte - Messen für sie ...“
Sie öffnete die Augen, sah den Ring an, der in der dunklen Hand des Schmiedes lag. Und ihre Tränen brachen in einem wilden Strom hervor, denn es war, als habe sie nie zuvor so ganz und gar erkannt, was er bedeutete. Das Leben, dem sie sich durch diesen Ring geweiht hatte, über das sie geklagt, gemurrt, getobt und gegen das sie getrotzt hatte - sie hatte es dennoch so sehr geliebt, sich an dem Guten und Bösen darin gefreut, daß es nicht einen Tag gab, den sie nicht schweren Herzens Gott zurückgegeben hätte, nicht einen Schmerz, den sie ohne Entbehrung hätte opfern können ...
Ulv und die Nonne wechselten einige Worte, die sie nicht hörte, dann verließ er die Stube. Kristin wollte ihre Hand heben und sich die Augen trocknen, vermochte es jedoch nicht -die Hand blieb auf ihrer Brust liegen. Da drinnen tat es so weh, die Hand lag so schwer darauf, und dann war es, als müsse der Ring noch am Finger sitzen. Ihre Sinne begannen sich wieder zu verwirren - sie mußte sehen, ob er wirklich weg war, ob sie nicht nur geträumt hatte, ihn weggegeben zu haben; jetzt begann sie auch unsicher zu werden, ob all das in der Nacht, das Kind am Grab, das schwarze Meer mit den raschen, kleinen, aufblitzenden Wellen, die Leiche, die sie getragen hatte -sie wußte nicht, ob sie das geträumt hatte oder ob sie wach gewesen war. Und sie vermochte nicht, die Augen zu öffnen.
„Schwester“, sagte die Nonne, „du darfst jetzt nicht schlafen - Ulv ist weggegangen, um den Priester für dich zu holen.“ Kristin wurde mit einem Ruck wieder ganz wach, heftete den Blick auf ihre Hand. Der goldene Ring war weg, es war doch wahr - aber dort, wo er am Mittelfinger gesessen hatte, war ein blankgewetztes Mal. Ganz deutlich war es an der braunen und rauhen Hand zu sehen - wie eine Narbe, mit dünner weißer Haut überzogen, Kristin vermeinte sogar, zwei runde Flecke von den Rubinen auf jeder Seite unterscheiden zu können und ein kleines Zeichen, ein M, mit dem die Mittelplatte des Ringes von dem heiligen Namenszeichen der Jungfrau Maria durchbrochen war.
Und der letzte klare Gedanke, der sich in ihrem Gehirn formte, war der, daß sie sterben sollte, noch ehe dieses Zeichen Zeit hatte, zu verschwinden, und sie war froh darüber. Es schien ihr ein Wunder zu sein, daß sie nicht begriff, trotzdem
aber wußte sie ganz sicher, Gott hatte sie in einem Pakt festgehalten, der für sie geschlossen worden war, ohne daß sie etwas davon ahnte,
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