Kristin Lavranstochter 2
würde. Sie zog die Kapuze, die zurückgeweht war, wieder über den Kopf, nahm den schwarzen Nonnenumhang dichter zusammen und stand so da, die Hände unter dem Tuch gekreuzt - aber sie kam nicht auf den Gedanken, zu beten; es war, als habe ihre Seele mehr als genug damit zu tun, sich aus dem verfallenen Haus herauszuarbeiten, und als sei es dies, was in ihrer Brust riß und zerrte, wenn sie atmete.
Sie sah, daß in der Hütte ein Feuer aufflackerte. Bald darauf rief Ulv Haldorssohn nach ihr: „Du mußt herkommen und mir leuchten, Kristin.“ Er stand in der Tür und reichte ihr einen Span aus geteertem Holz.
Erstickend schlug ihr der Leichengeruch entgegen, obgleich die Hütte ganz undicht und die Tür eingebrochen war. Mit starren Blicken, den Mund halb geöffnet - sie fühlte Kinnladen und Lippen steif werden wie Holz -, blickte sie zum Tod hin. Aber es lag nur ein langes Bündel auf dem Lehmboden im Winkel; es war in Ulvs Umhang eingeschlagen.
Ulv hatte irgendwo ein paar lange Bretter herausgerissen und die Tür daraufgelegt. Er machte nun, während er das unbrauchbare Werkzeug verwünschte, mit seiner Stabaxt und dem Dolch ein paar Haken und Löcher und versuchte die Tür mit den Brettern zu verbinden. Ein paarmal blickte er rasch zu Kristin auf, und jedesmal zog sich sein dunkles graubärtiges Gesicht härter zusammen.
„Ich möchte wissen, wie du hiermit allein zurechtkommen wolltest“, sagte er, auf die Arbeit hinuntergebeugt; dann sah er von der Seite zu ihr auf, aber ihr steifes, totes Gesicht im Schimmer der roten Kienfackel blieb weiterhin gleich unbeweg-lich - das Gesicht eines toten oder verrückten Weibes. „Kannst du mir das sagen, Kristin?“ lachte er barsch. Aber es half nichts. „Nun dünkt mich, es wäre an der Zeit, daß du einige Gebete sprächest.“
Unverändert steif und schlaff begann sie zu sprechen:
„Pater noster qui es in coelis. Adveniat regnum tuum. Fiat voluntas tua sicut in coelo et in terra ..." Dann hielt sie inne.
Ulv sah sie an. Dann fuhr er fort:
„Panem nostrum quotidianum da nobis ho die ..." Rasch und mit fester Stimme sprach er das Vaterunser zu Ende, ging hin und machte das Zeichen des Kreuzes über dem Bündel, rasch und fest griff er zu und trug es zu der Bahre, die er angefertigt hatte.
„Geh du vorne“, sagte er. „Es ist so vielleicht etwas schwerer, aber du spürst dann den Gestank nicht so. Wirf die Fackel weg - wir sehen besser ohne sie - und mach keinen Fehltritt, Kristin, denn ich will diese arme Leiche nicht noch einmal anfassen müssen.“
Als sich die Stangen der Bahre auf ihre Achseln legten, schien sich der kämpfende Schmerz in ihrer Brust zur Gegenwehr zu erheben, der Brustkorb wollte das Gewicht nicht entgegennehmen. Aber sie biß die Zähne zusammen. Solange sie am Strand entlanggingen, wo der Wind blies, bekam sie nicht viel von dem Leichengeruch zu spüren.
„Hier muß ich wohl zuerst die Leiche und dann die Bahre hinauftragen“, sagte Ulv, als sie an den Abhang kamen.
„Wir können noch etwas weiter dort hinübergehen“, sagte Kristin, „dort, wo die Leute sonst mit den Tangschlitten fahren - da ist es nicht so steil.“
Ihre Stimme klang ruhig und besonnen, das hörte der Mann. Und ihm brach der Schweiß aus, und er begann zu zittern, jetzt, da es überstanden war - er hatte geglaubt, sie würde in dieser Nacht den Verstand verlieren.
Mühselig folgten sie dem Weg, der über die Lichtung zum Kiefernwald führte. Hier hatte der Wind freie Bahn, aber es war trotzdem nicht so wie unten am Strand, und je weiter und weiter sie sich von dem Rauschen am Strand entfernten, desto stärker fühlte sie, daß dies eine Rückkehr von dem Entsetzen des äußersten Dunkels war. Neben dem Pfad leuchtete es hell auf, es war ein Kornacker, den zu schneiden niemand Zeit gehabt hatte. Der Geruch des Getreides und der Anblick der liegenden Halme hießen sie wieder daheim willkommen, und ihre Augen füllten sich mit Tränen schwesterlichen Mitleids - aus ihrem eigenen öden Entsetzen und ihrer Not kehrte sie zurück zu der Gemeinschaft der Lebendigen und der Toten.
Der fürchterliche Aasgeruch schlug jetzt manchmal, wenn sie den Wind im Rücken hatte, ganz über ihr zusammen, aber es war trotzdem nicht so schrecklich wie vorher, als sie in der Hütte stand - hier war doch alles voll der Reinheit eines frischen, feuchten und kalten Luftstromes.
Und viel stärker als das Gefühl, daß sie etwas Entsetzliches auf der Bahre trug, war die
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