Kristin Lavranstochter 2
nicht. Jetzt aber will ich dir helfen, diese Last zu tragen.“
Der Kiefernwald rauschte über ihnen, und das Dröhnen der Wellen draußen am Strand drang stärker und schwächer bis zu ihnen, je nach den Windstößen. Es war kohlschwarz dort, wo die beiden Menschen gingen. Nach einer Weile sagte Ulv:
„Ich habe dich schon früher begleitet, Kristin, wenn du dich nachts auf den Weg machtest - darum dünkte mich, es könnte sich geziemen, daß ich auch diesmal mit dir ginge ...“
Sie atmete hart und heftig in der Dunkelheit. Einmal stolperte sie über etwas, Ulv fing sie auf. Von da an nahm er sie bei der Hand und führte sie. Nach einer Weile merkte er, daß sie weinte, da fragte er, weshalb sie weine.
„Ich weine, weil ich daran denke, wie gut und wie getreu du allzeit gegen uns gewesen bist, Ulv. Was soll ich sagen? Ich weiß wohl, es geschah hauptsächlich um Erlends willen, aber ich glaube fast, Verwandter - du hast stets milder über mich geurteilt, als du berechtigt gewesen wärest, nachdem du meine ersten Taten kennengelernt hattest.“
„Ich habe dich gern gehabt, Kristin - nicht weniger als ihn.“ Er schwieg. Kristin begriff, daß er sehr erschüttert war. Dann sagte er:
„Darum dünkte es mich hart, daß ich heute hierhersegeln mußte - ich komme, um so schwere Nachrichten zu bringen, daß ich sie selbst kaum auszusprechen wage. Gott stärke dich, Kristin.“
„Ist es Skule?“ fragte Kristin nach einiger Zeit leise. „Ist Skule tot?“
„Nein, als ich gestern mit Skule sprach, ging es ihm gut, und jetzt sterben in der Stadt nicht mehr viele an der Seuche. Aber heute morgen erhielt ich Nachricht aus Tautra...“ Er hörte, wie sie einmal schwer aufseufzte, aber sie sagte nichts. Nach einer Weile fuhr er fort:
„Es sind schon zehn Tage her, seit sie starben. Im Kloster sind nur noch vier Brüder am Leben, und die Insel ist fast wie rein gefegt von Menschen.“
Sie waren jetzt dort angelangt, wo der Wald aufhörte. Über das flache Land vor ihnen kam das Meeresrauschen und der Wind ihnen entgegengebraust. Irgendwo draußen in der Dunkelheit leuchtete es weiß auf - die Brandung in einer kleinen Bucht, darüber ein steiler, heller Sandhang.
„Dort wohnt sie“, sagte Kristin. Ulv fühlte, wie Kristin von langen krampfartigen Schauern erfaßt wurde. Er nahm sie fester bei der Hand.
„Du hast dies selber auf dich genommen. Denke daran und verliere jetzt nicht die Besinnung.“
Mit einer seltsam dünnen zerbrochenen Stimme, die der Wind ergriff und wegtrug, sagte Kristin:
„Jetzt wird Björgulvs Traum in Erfüllung gehen - ich vertraue auf die Gnade Gottes und der Jungfrau Maria.“
Ulv versuchte ihr ins Gesicht zu sehen - aber es war zu dunkel. Sie gingen zum Strand hinunter - an einigen Stellen war dieser unter dem Hang so schmal, daß die Wellen ab und zu bis an ihre Füße heraufspülten. Über Tangbüschel und große Steine schritten sie dahin. Nach einer Weile erkannten sie undeutlich eine dunkle Masse unter dem Sandhang.
„Bleib hier“, sagte Ulv kurz. Er ging hin, rüttelte an der Tür, dann hörte sie, daß er die Weidenbänder mit der Axt zerschlug und wieder rüttelte. Sie merkte, daß die Tür nach innen fiel und er in das schwarze Loch trat.
Es war keine besonders windige Nacht. Aber es war so dunkel, daß Kristin nichts sehen konnte außer der lebendigen See, die mit ihren kleinen aufleuchtenden Schaumköpfen herankam und sofort wieder verschwand, und außer der Helligkeit der Wellen, die sich längs dem Strande der Bucht brachen, und dann konnte Kristin noch die schwarze Masse vor dem Hang erkennen. Und es dünkte sie, als stünde sie in einer Höhle von
Nacht und als wäre dies die Vorburg des Todes. Das Dröhnen der sich brechenden Wellen und das Zurückrieseln des Wassers zwischen den Steinen am Strand gingen im Gleichmaß mit dem Pochen ihres Blutes, obgleich sie ein Gefühl hatte, als sei ihr Körper im Begriff, sich aufzulösen, ähnlich wie ein Holzgefäß in Stücke zerfällt - es tobte in ihrer Brust, als wolle etwas sie von innen heraus zersprengen; sie fühlte ihren Kopf hohl und leer und gleichsam durchlöchert, und der regelmäßige Wind hüllte sie ein und strich quer durch sie hindurch. Seltsam gleichgültig begriff sie, daß sie nun wahrscheinlich selbst von der Seuche erfaßt war - aber sie wartete gleichsam darauf, daß ein Licht die Dunkelheit zerreißen sollte, laut das Meeresrauschen übertönend, und daß sie dann vor Entsetzen vergehen
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