Kristin Lavranstochter 2
alles Gefühl verließ - und dann kam die Angst, und der Schweiß brach ihm aus. Ihr Vater, was würde er jetzt mit Sigrid machen?
Er hatte solche Angst, während er auf schlechten, frühjahrlichen Wegen heimwärts nach Raumarike ritt, daß schließlich der Knecht, der ihn begleitete und nicht allzuviel begriff, sich darüber lustig machte, weil er so oft vom Pferd herunter und abseits gehen mußte. Zwar war er seit langem voll erwachsen und verheiratet, aber wenn er an die Begegnung mit dem Vater dachte, befiel ihn solche Furcht, daß er Leibweh bekam.
Dann hatte der Vater kaum ein Wort geäußert. Aber er war zusammengebrochen - wie ein gefällter Baum. Heute noch konnte es geschehen, daß Simon beim Einschlafen dieses Bild vor sich sah und im selben Augenblick wieder hellwach wurde. Der Vater, wie er dasaß und hin und her wankte, den Kopf auf die Brust gesenkt, Gyrd neben ihm, die Hand auf die Armlehne des Hochsitzes gestützt, ein wenig bleicher als gewöhnlich, mit niedergeschlagenen Augen ...
„Gott sei gedankt, daß sie nicht hier war, als dies aufkam. Wie gut, daß sie bei dir und Halfrid ist...", hatte Gyrd gesagt, als sie beide allein waren.
Dies war das einzige Mal, daß Simon Gyrd etwas hatte sagen hören, aus dem man entnehmen konnte, daß er seine Frau nicht über alle anderen Frauen setzte. Mit seinen Augen hatte er sehen müssen, wie Gyrd gleichsam verwelkte und immer weniger wurde, seitdem er mit Helga Saksestochter verheiratet war.
Zu jener Zeit, da er mit ihr verlobt war - gesagt hatte Gyrd nie viel, aber sooft er seine Braut gesehen hatte, kam ein so leuchtend schöner Ausdruck auf Gyrds Gesicht, daß es Simon ganz seltsam zumute wurde, wenn er den Bruder ansah. Er habe Helga früher schon gesehen, äußerte Gyrd zu Simon, jedoch niemals mit ihr gesprochen und nie mit einem Gedanken daran gedacht, daß ihre Verwandten ihm eine so reiche und schöne Braut geben würden .. .
Gyrd Darres eigenartige Schönheit in der Jugend hatte Simon beinahe wie eine Ehre für sich selbst empfunden. Er war auf eine seltsam gewinnende Art schön - es schien, als müßten alle verstehen, daß in diesem feinen und stillen jungen Mann Güte, hoher Sinn und ein mutiges und adliges Herz wohnten. Dann wurde er mit Helga Saksestochter verheiratet - und dann schien nichts weiter mehr aus ihm zu werden ...
Wortkarg war er immer gewesen - aber die beiden Brüder steckten stets beisammen, und Simon fiel es nicht schwer, für sie beide zu reden. Simon war gesprächig, galt für einen hellen Kopf, war umgänglich - zu Trunk und Scherz, zur Jagd und zu Vergnügungen, zu allerhand Art Jugendbelustigungen hatte Simon Freunde nach Dutzenden, ihm alle gleich lieb und nahestehend. Der älteste Bruder war mit dabei - sagte wenig, hatte jedoch sein schönes, ernsthaftes Lächeln, und die wenigen Worte, die er sprach, machten gleichsam viel aus sich.
Jetzt schwieg Gyrd Andressohn wie eine verschlossene Truhe.
Als Simon in jenem Sommer heimkam und seinem Vater sagte, Kristin Lavranstochter und er seien in dem Wunsch einig geworden, die Verabredung zurückgehen zu lassen, wußte er daß Gyrd den größten Teil der dahinterliegenden Ursachen erkannt hatte. Daß Simon seine Braut liebte, daß er sein Recht aus irgendeinem bestimmten Grund aufgab und daß Simon durch die Art dieses Grundes in seinem Innern von Schmerz und Groll wie zerrissen war. Gyrd hatte dem Vater still geraten, die Sache fallenzulassen. Simon jedoch hatte er nie mit einem Wort zu erkennen gegeben, was er verstand. Und Simon dünkte es, könnte er überhaupt seinen Bruder noch lieber haben, als er ihn sein Leben lang schon gehabt hatte, so müßte das nun der Fall sein, um seines Schweigens willen ...
Simon wollte froh und frisch sein, während er heimwärts ritt. Auf dem ganzen Weg das Tal entlang besuchte er seine Freunde, begrüßte sie, trank sich lustig - und die Freunde sattelten ihre Pferde und begleiteten ihn zum nächsten Hof, wo andere Freunde wohnten. Es ritt sich jetzt so gut und leicht um diese Zeit des schneelosen Frostes.
Den letzten Teil seines Weges ritt er in der Dämmerung. Die Bierlaune war von ihm gewichen. Seine Knechte waren übermütig und laut, ihrem Herrn aber schien Lachen und Scherzen vergangen zu sein - er fühlte sich wohl müde.
Dann war er daheim. Andres trippelte dem Vater überallhin nach, wo dieser ging und stand. Ulvhild schwänzelte um die Satteltasche herum - ob er ihr ein paar Geschenke mitgebracht hätte. Arngjerd
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