Kristin Lavranstochter 2
zu lenken, der nie jemand beschützt hatte. Ihre süße Jungfräulichkeit hatte er zerstört, ihre stolze Ruhe gebrochen, diesen Frauensinn zersprengt und sie dazu gezwungen, jede Gabe, die sie besaß, bis aufs äußerste zu strecken und anzuspannen. Sie hatte für ihren Geliebten einstehen müssen wie der kleine Vogel, der sein Nest mit zitterndem Leib und gellender Stimme schützt, wenn jemand sich ihm nähert. Ihr behender schlanker Körper hatte wie geschaffen geschienen, von den Armen eines Mannes getragen und herzlich beschirmt zu werden - Simon hatte ihn von wildem Willen angespannt gesehen, während das Herz in ihr vor Mut und Angst und Kampfeslust hämmerte und sie für Mann und Kinder stritt, so wie selbst die Taube wild und unerschrocken werden kann, wenn sie Junge hat.
Wäre er selbst ihr Gemahl gewesen, hätte sie mit seinem ehrenhaften guten Willen fünfzehn Jahre lang zusammen gelebt - so wäre sie wohl auch für ihn eingestanden, das wußte er wohl, wäre er in irgendein Unglück geraten. Mit Klugheit und Mut würde sie an seiner Seite gestanden haben. Nie aber würde er dieses versteinerte Antlitz gesehen haben, das sie ihm an jenem Abend in Oslo zuwandte, als sie vor ihm saß und ihm erzählte, daß sie weg gewesen sei und sich in jenem Haus umgesehen hätte. Seinen eigenen Namen hätte er sie wohl nie in solcher Not und solchem wilden Jammer ausstoßen hören. Und es war nicht die ehrenhafte und rechtschaffene Liebe seiner Jugend, die in seinem Herzen geantwortet hatte. Jene Wildheit, die sich erhob und ihrem wilden Sinn entgegenschrie - er hätte nie erfahren, daß so etwas in seinem eigenen Gemüt wohnen konnte, wäre es mit ihm und ihr so gegangen, wie ihre Väter es gewollt hatten.
Ihr Antlitz in jener Nacht, als sie an ihm vorbeiging, um Hilfe für sein Kind zu suchen - sie hätte nicht gewagt, jenen Gang zu tun, wäre sie nicht Erlends Frau gewesen, die sich daran hatte gewöhnen müssen, furchtlos zu handeln, selbst wenn ihr Herz vor Angst bebte. Ihr tränennasses Lächeln, als sie ihn weckte und sagte, der Knabe rufe nach seinem Vater -so herzzerbrechend süß lächelt nur einer, der weiß, was es heißt, einen Kampf zu verlieren, aber auch einen Kampf zu gewinnen.
Erlends Frau war es, die er liebte - so wie er sie jetzt liebte. Aber dann war seine Liebe ja wohl sündig, und dann mußte es wohl auch so sein, wie es war - daß er sich unglücklich fühlte. Denn er war so unglücklich, daß er bisweilen nur ein großes Erstaunen empfand - darüber, daß er selbst es war, dem es so erging und der keinen Ausweg aus seinem Unglück sah.
Als er seine eigene Ehre und seine adeligen Sitten mit Füßen trat, Erling Vidkunssohn an Dinge erinnerte, von denen kein ehrenhafter Mann je hätte merken lassen, daß er sie wußte -hatte er dies nicht für Brüder oder Verwandte getan, sondern nur für sie. Nur um ihretwillen hatte er es über sich gebracht, den anderen Mann anzubetteln, so wie die Aussätzigen in den Städten vor der Kirchentüre betteln und dabei ihre häßlichen Wunden herzeigen. - Er hatte gedacht - einmal sollte sie es erfahren. Nicht alles, nicht, wie tief er sich gedemütigt hatte. Aber wenn sie beide alt geworden wären, so dachte er, würde er zu Kristin sagen: Ich half dir, so gut ich konnte, denn ich erinnerte mich, wie innig ich dich liebte in jener Zeit, da ich dein Verlobter war.
Etwas gab es, an das er in seinen Gedanken nicht zu rühren wagte. Hatte Erlend etwas zu Kristin gesagt? - Ja, Simon dachte, einmal sollte sie es aus seinem eigenen Munde erfahren
- ich habe es nie vergessen, daß ich dich liebte, als wir jung waren. Wußte sie es aber und hatte sie es von ihrem eigenen Mann gehört - nein, dann glaubte er es nicht mehr sagen zu können...
Ihr allein hatte er es sagen wollen - einmal, viel später. Wenn er an jene Stunde zurückdachte, da er es selbst preisgab -wenn er daran dachte, wie Erlend das zu sehen bekommen hatte, was er in seinem innersten Innern verborgen glaubte... Und Ramborg wußte es - obgleich er nicht begriff, wie sie es verstanden hatte.
Seine eigene Frau - und ihr Mann - sie wußten es!
Simon schrie auf, wild und erstickt, warf sich heftig auf die andere Seite herum.
Gott steh ihm bei! Jetzt war er selbst es, der hier lag, geschunden und nackt, vergewaltigt, blutend von der Folter und bebend vor brennender Scham ...
Die Frau sah vorsichtig zur Tür herein, begegnete Simons heißen, trockenen, scharfblitzenden Augen vom Bett her.
„Fandet
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