Kristin Lavranstochter 2
Kristin mit ihrem Mann und allen ihren Kindern auf Jörundhof einzog und er mit ihnen Zusammentreffen, Freundschaft und Verwandschaft aufrechterhalten mußte. Aber er tröstete sich - es war so viel schlimmer gewesen, als er mit ihr hatte zusammen wohnen müssen, so wie es für einen Mann unerträglich ist, mit einer Frau, die er liebt, zusammen zu wohnen, wenn sie nicht seine Frau und nicht seine leibliche Verwandte ist. Und das, was sich zwischen Erlend und ihm selbst zugetragen hatte, an jenem Abend, als sie die Befreiung des Schwagers aus dem Turm feierten - das löschte er in seinem Gedächtnis aus: Erlend hatte es wohl kaum zur Hälfte verstanden und dachte wohl nicht weiter daran. Erlend besaß solch eine seltene Gabe, zu vergessen. Und er selbst hatte seinen Hof und seine Frau, die er gern hatte, und seine Kinder.
So beruhigte er sich einigermaßen. Er konnte nichts dafür, daß er die Schwester seiner Frau liebte. Sie war einmal seine Braut gewesen - und nicht er war es, der die Treue gegen sie gebrochen hatte. In jener Zeit, da er Liebe zu Kristin Lavranstochter faßte, war dies nur seine Pflicht gewesen, denn er glaubte ja, sie sei dazu ausersehen, seine Frau zu werden. Daß er die Schwester bekam - das war Ramborgs Wille - und der ihres Vaters. Lavrans, ein so kluger Mann er auch war, war es nicht eingefallen, danach zu fragen, ob er vergessen hätte. Simon wußte übrigens, daß er es nicht einmal von Lavrans ertragen hätte, danach gefragt zu werden.
Er taugte schlecht zum Vergessen. Daran trug er keine Schuld. Und er hatte niemals auch nur ein Wort gesagt, das er verschweigen müßte. Er konnte nichts dafür, daß der Teufel ihn mit Erinnerungen und Träumen heimsuchte, die die Bande des Blutes verletzten - freiwillig hatte er sich niemals sündigen Liebesgedanken hingegeben, und in seinen Handlungen war er stets wie ein treuer Bruder zu ihr und den Ihren gewesen. Das wußte er selbst. Schließlich hatte er es zuwege gebracht, mit seinem Schicksal einigermaßen zufrieden zu sein.
Solange er wußte, daß er es war, der den beiden dort drüben Dienste erwiesen hatte. - Kristin und jenem Mann, den sie ihm vorgezogen hatte. Stets mußte sie seine Unterstützung annehmen.
Jetzt war dies anders geworden. Kristin hatte Leben und Seelenheil gewagt, um das Leben seines Sohnes zu retten. Es war, als seien alle alten Wunden aufgebrochen, seitdem er dieses hatte geschehen lassen.
Und nun war es noch dahin gekommen, daß er Erlend sein Leben verdankte.
Und als Dank dafür hatte er ihn nun gekränkt - unfreiwillig, in Gedanken nur, aber trotzdem!
... et dimitte nobis debita nostra, sicut et nos dimittibus debitoribus nostris* Es war merkwürdig, daß der Herr nicht auch gelehrt hatte zu beten: sicut et nos dimittibus creditoribus nostris**. Er wußte nicht, ob dies ein gutes Latein sei - er war nie stark in dieser Sprache gewesen, aber er wußte, es war ihm stets irgendwie möglich gewesen, seinen Schuldigem zu vergeben. Ihn dünkte es viel schwieriger, denen zu vergeben, die seinem Nacken eine Schuld aufgebürdet hatten.
Und nun, seit sie sich quitt nennen konnten - er und diese beiden anderen fühlte er jeden alten Schmerz, den er Jahre hindurch gewaltsam unterdrückt hatte, aufwachen und wieder lebendig werden.
Er konnte Erlend in seinen Gedanken nicht länger mehr beiseite schieben - ihn nicht mehr als einen unklugen Menschen betrachten, der weder sehen noch lernen, weder sich erinnern noch denken konnte. Jetzt bedrückte der andere sein Gemüt, gerade weil niemand wissen konnte, was Erlend sah und dachte und wessen er sich erinnerte - er war völlig unberechenbar.
Gar mancher Mann erhält das, was einem anderen bestimmt
* (lat.) Und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigem. ** (lat.) Wie wir vergeben unsern Gläubigern.
war, niemand aber erhält des anderen Schicksal. - Dies war ein wahres Wort.
Er, Simon, hatte seine junge Braut geliebt. Hätte er sie bekommen, so wäre er sicherlich ein zufriedener Mann geworden; sie hätten gewiß gut miteinander gelebt. Und sie war heute noch dieselbe wie damals, als sie sich zum erstenmal begegneten. Sanft und sittsam, verständig, so daß ein Mann sie gerne auch in schweren Dingen um Rat fragte, ein wenig eigensinnig in Kleinigkeiten, im übrigen aber fügsam, von ihrem Vater her daran gewöhnt, sich führen und stützen und schützen zu lassen. Da aber gewann dieser Mann Gewalt über sie - einer, der nicht einmal dazu taugte, sich selbst
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