Kristin Lavranstochter 2
von der Gefahr seiner Brüder nichts wußte. Außerdem hatte er ja selbst gesagt - Simon erinnerte sich, daß Erling dies zu Stig gesagt hatte -, er glaube nicht, daß sie Erlend durch die Folter zum Sprechen bringen könnten.
Trotzdem mußten sie doch wohl Erlends Mund fürchten. Hatte er auch während der Folter und der Gefangenschaft geschwiegen, so war gerade er der Mann, der sich hinterher durch Leichtsinn verriet. Das sah ihm durchaus ähnlich.
Obwohl - daß Erlend dies nicht tun würde, dünkte Simon das einzige, dessen er sicher sein könne. Er schwieg wie der Stein, sooft das Gespräch auf diese Sache gelenkt wurde, gerade weil er Angst hatte, zum Reden verführt zu werden und mehr zu sagen, als er wollte. Simon begriff, daß Erlend eine heftige, beinahe kindische Angst hatte, seine Treue zu brechen - kindisch, denn daß er selbst den ganzen Plan seiner Hure verraten hatte, schien Erlends Ehre, nach seiner Meinung, offenbar nicht zu berühren. So etwas, glaubte er wohl, konnte dem Besten widerfahren. Solange er selbst den Mund hielt, betrachtete er seinen Schild für fleckenlos und seine Treue für ungebrochen -und Simon hatte begriffen, daß Erlend in seiner Ehre empfindlich war, soweit dieser selbst wußte, was Ehre und Ehrenhaftigkeit waren. Er war ja ganz außer sich geraten vor Verzweiflung und Wut, nur bei dem Gedanken, daß einer seiner Mitschuldigen verraten werden könnte - jetzt noch, so lange danach. Und überdies auf eine Weise, daß es den Männern, die er mit seinem Leben gedeckt hatte - und mit seiner Ehre und mit seinem Besitz -, unmöglich etwas anhaben konnte: durch das Geschwätz eines Kindes ihm gegenüber, dem nächsten Verwandten dieser Männer...
Er wolle es so einrichten, daß, ging es schlecht hinaus, er für sie alle büßen würde - das hatte Erlend auf das Kreuz allen jenen Männern geschworen, die sich damals in diesem Plan mit ihm zusammentaten. Aber daß erwachsene, verständige Männer sich durch einen solchen Eid beruhigen lassen konnten - Erlend hatte doch nicht alles in seiner Hand. Jetzt, da Simon von der ganzen Verschwörung wußte, schien es ihm, dies sei das Törichteste, was er je gehört habe. Erlend war bereit gewesen, sich Glied für Glied zerbrechen zu lassen, um seinen Eid wortgetreu zu halten. Unterdessen lag das Geheimnis in den Händen eines zehnjährigen Knaben - Erlend hatte« selbst hierfür gesorgt. Und es war wohl auch nicht sein Verdienst, daß Sunniva Olavstochter nicht noch mehr wußte, als sie tatsächlich wußte. Konnte auch nur ein Mensch aus solch einem Mann klug werden?
Wenn er also einen Augenblick geglaubt hätte - jawohl, das, was Erlend und seine Frau dachten, was er glaube - Gott mochte wissen, wie naheliegend diese Auslegung war, als Gaute damit herausrückte, daß er sein Siegel unter dem Verräterbrief gesehen habe. Und die beiden sollten bedenken, daß er gar manches über Erlend Nikulaussohn wußte und weniger Grund hatte als die meisten Männer, stets nur das Schönste von seinem Gast zu glauben. Aber sie hatten es wohl schon längst vergessen, wie er sie einmal ertappte und wie er bis auf den Grund ihrer Schamlosigkeit sehen konnte.
Es hatte also wenig Sinn, daß er hier lag und sich wie ein Hund schämte, weil er Erlend in Gedanken unrecht getan hatte. Gott wußte, dies geschah nicht, weil er gern Schlechtes von seinem Schwager glaubte - er war unglücklich genug gewesen, als ihm dieser Gedanke kam. Aber er wußte selbst, daß dies ein wahnsinnig dummer Verdacht gewesen war - er wäre, auch ohne Kristins Worte, selbst daraufgekommen, daß es so nicht Zusammenhängen konnte. Ebenso schnell fast, wie ihm der Verdacht gekommen war - Erlend hätte sein Siegel mißbraucht hatte er gefühlt, nein, Erlend konnte unmöglich so etwas getan haben. Erlend hatte nie in seinem Leben eine unehrenhafte Handlung begangen, die von einem Hintergedanken veranlaßt worden war - oder die überhaupt einen Sinn hatte...
Simon wälzte sich in seinem Bett herum und stöhnte. Man hatte ihn mit all diesem Unsinn fast närrisch gemacht. Es quälte ihn, wenn er daran dachte, daß Gaute jahrelang umhergegangen und dies von ihm geglaubt hatte - es war unvernünftig, das so schwerzunehmen. Selbst wenn er den Knaben gern hatte, alle Söhne Kristins gern hatte ... Sie waren doch fast alle nur Kinder; brauchte er es sich so nahegehen zu lassen, wie sie über ihn urteilten?
Und daß es ihn so wütend machte und empörte, wenn er an die Männer dachte, die ihre
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