Kristin Lavranstochter 2
wie ihr Vater es getan hatte - sie entsann sich, wie ihr Vater gesagt hatte, daß der, der sich seiner Sünden demütigen Sinnes erinnert und sich vor dem Kreuz des Herrn beugt, niemals den Nacken unter einem zeitlichen Unglück oder Unrecht zu beugen braucht.
Kristin blies das Licht aus, zwickte den glühenden Docht ab und stellte es an seinen Platz oben unter dem obersten Wandbalken. Sie trat wieder zu dem Guckloch; draußen war es bereits hell wie der Tag, aber grau und tot - auf den niedrigeren Hausdächern, auf die sie hinabblickte, bewegte sich das schüttere, sonnverbrannte Gras leise unter einem Windhauch, ein kleiner knisternder Laut ging durch das Laub an den Birken, die ihr gerade gegenüberstanden.
Sie betrachtete ihre Hände, mit denen sie den Rahmen des Lichtlochs umschlossen hielt. Sie waren runzlig und verarbeitet, die Arme waren bis zu den Ellbogen hinauf braun und die Muskeln geschwollen, hart wie Holz. In ihrer Jugend hatten die Kinder Blut und Milch aus ihr herausgesaugt, bis jede Spur von der glatten und frischen Rundlichkeit der Jungfrau aus ihrem Körper entschwunden war. Jetzt raubten die Mühen jedes Tages ein wenig von dem Rest an Schönheit, die sie als Tochter, Frau und Mutter von Männern adeligen Blutes ausgezeichnet hatte: die schmalen weißen Hände, die hellen weichen Arme, die lichte Gesichtsfarbe, die sie sorgfältig mit Kopftüchern gegen Sonnenbrand geschützt und mit kunstvoll zusammengebrauten Wassern gewaschen hatte. Jetzt war Kristin seit langem gleichgültig dagegen geworden, ob die Sonne ihr gerade in das von Schweiß nasse Gesicht schien und es wie das einer armen Bauernfrau bräunte.
Das Haar war das einzige, was sie noch von der Schönheit ihrer Mädchentage her besaß. Es war noch ebenso üppig und braun, obgleich sie selten Zeit fand, es zu waschen und zu pflegen. Der schwere, zerraufte Zopf, der ihr über den Rücken hing, war seit drei Tagen nicht mehr gelöst worden.
Kristin warf ihn nach vorn, öffnete die Flechten und schüttelte das Haar - immer noch umhüllte es sie wie ein Umhang und reichte bis über das Knie hinunter. Sie nahm einen Kamm aus ihrem Schrein, und von Zeit zu Zeit zusammenschauernd -sic saß im bloßen Hemd bei der durch das Lichtloch hereindringenden Morgenkühle kämmte sie vorsichtig die wirren Haarmassen aus.
Als sie damit fertig war und das Haar wieder zu einem festen und schweren Zopf geflochten hatte, war es gleichsam, als fühle sie sich ein wenig besser. Dann hob sie den schlafenden Munan behutsam in ihre Arme auf, legte ihn zuinnerst an die Wand in das Ehebett und schmiegte sich selbst zwischen ihn und ihren Mann. Sie nahm ihren Jüngsten in den Arm und legte seinen Kopf gegen ihre Schulter, und so schlummerte sie ein.
Am nächsten Morgen verschlief sie; Erlend und die Knaben waren auf, als sie erwachte. „Ich glaube fast, du trinkst noch bei deiner Mutter, wenn es niemand sieht“, sagte Erlend, als er Munan bei der Mutter liegen sah. Der Knabe wurde zornig, lief hinaus und kletterte über den Altan auf den geschnitzten Balkenkopf von einem der Stämme hinaus, die den Altan trugen -er wollte sein Mannestum beweisen. „Spring!“ rief Naakkve unten im Hofplatz. Er fing den kleinen Bruder in seinen Armen auf, drehte ihn herum und warf ihn Björgulv zu - die beiden erwachsenen Brüder spielten mit ihm, bis er lachte und schrie. Am nächsten Tag aber, als Munan weinte, weil ihm die Bogensehne auf seine Finger zurückgeschnellt war, nahmen die Zwillinge ihn und hüllten ihn in eine Decke, trugen ihn so in das Bett der Mutter und stopften ihm ein Stück Brot in den Mund, so groß, daß der Knabe beinahe daran erstickt wäre.
2
Erlends Hauspriester auf Husaby hatte die drei ältesten Söhne im Schrifttum unterwiesen. Sie waren keine sehr fleißigen Schüler, aber sie waren alle drei gut begabt, und ihre Mutter, die selbst in diesen Dingen unterrichtet worden war, überwachte ihre Arbeiten, so daß sie doch nicht so ganz wenig lernten.
Und in dem Jahr, da Björgulv und Nikulaus mit Sira Eiliv in dem Kloster auf Tautra lebten, hatten sie mit Feuereifer an den Brüsten der Wissenschaft getrunken, wie der Priester sagte. Der Lehrer dort war ein sehr alter Mönch, der sein ganzes Leben lang mit der Emsigkeit einer Biene aus allen Büchern, die er nur in die Hand bekommen konnte, lateinischen und nordischen,
Weisheit gesammelt hatte. Sira Eiliv selbst war ein Verehrer der Weisheit, aber in den Jahren auf Husaby hatte er wenig Gelegenheit
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