Kristin Lavranstochter 2
ihr hereingetragen. Da und dort zwitscherte ein Vogel im Schlaf draußen in der Sommernacht.
Kristin suchte ihren Feuerstahl hervor und zündete einen kurzen Lichtstummel an. Leise trat sie dorthin, wo Ivar und Skule auf der Bank schliefen, beleuchtete sie und befühlte mit dem Handrücken ihre Wangen - ein wenig Fieber hatten sie wohl. Still sprach sie ein Ave-Maria und machte das Zeichen des Kreuzes über den beiden. Der Galgen und der Block - daß Erlend mit solchen Dingen scherzen konnte, er, der selbst so nahe daran gewesen war ...
Lavrans wimmerte und murmelte im Schlaf. Die Mutter beugte sich über die beiden Jüngsten, die ihre Lagerstätte auf einer kleinen Bank zu Füßen des elterlichen Bettes hatten. Lavrans war heiß und rot und warf sich heftig herum, erwachte jedoch nicht, als sie ihn anrührte.
Gaute hatte die milchweißen Arme hinten im Nacken, in dem langen flachsgelben Haar verschränkt - die Bettücher hatte er ganz abgeworfen. Sein Blut war so heiß, daß er immer nackt schlafen wollte, und seine Haut war so leuchtend weiß. Die sonnverbrannte Farbe von Gesicht, Hals und Händen hob sich scharf ab. Die Mutter zog ihm die Decke bis an die Hüften hinauf.
Sie konnte Gaute nur schwer böse sein - er besaß so viel Ähnlichkeit mit ihrem Vater. Sie hatte wegen des Unglücks, das er beinahe über sie alle gebracht hätte, nicht viel zu ihm gesagt. So klug und besonnen, wie dieser Knabe war, würde er es sich wohl trotzdem eine Lehre sein lassen und es nicht vergessen.
Naakkve und Björgulv lagen in dem anderen der beiden Betten, die im Dachraum standen. Bei ihnen verweilte die Mutter am längsten und beleuchtete die beiden schlafenden jungen Männer. Schon beschattete schwarzer Flaum ihre kindlichen roten und weichen Münder. Naakkves Fuß sah unter der Decke hervor, schmal, hochristig, tief eingeschwungen an der Sohle -und nicht ganz rein. Und trotzdem dünkte es die Mutter, es sei nicht lange her, seit dieser Männerfuß so klein war, daß er in ihrer geschlossenen Hand ganz verschwand und sie ihn unter ihre Brust drückte und zu ihrem Mund hochhob, in jede einzelne kleine Zehenkuppe biß, weil sie alle so hellrot und süß waren wie die Blütenglocken der Blaubeeren.
Es war wohl richtig, sie verstand nicht genug zu würdigen, was Gott ihr beschieden hatte. Die Erinnerung an jene Zeit, da sie Naakkve erwartete, und an die Schreckensgesichte, unter denen sie sich gewunden hatte - dies alles konnte ihr noch glühend heiß in den Sinn kommen: sie war des Kindes genesen wie eine, die aus Traumesschrecken und mit dem bedrückenden Gewicht eines Alps auf der Brust zum gesegneten Tageslicht erwacht. Andere Frauen aber mußten erwachen und erkennen, daß das Unglück des Tages schlimmer war als das Schlimmste, was sie je geträumt hatten. Trotzdem, wenn Kristin einen Krüppel oder einen mißgestalteten Menschen sah, konnte sie tief unglücklich werden bei der Erinnerung an ihre eigene Furcht für das ungeborene Kind. Dann demütigte sie sich vor Gott und dem heiligen Olav mit brennender Inbrunst, bestrebte sich, Gutes zu tun, gab sich Mühe, Tränen wahrer Reue aus ihren Augen hervorzubringen, während sie betete. Aber stets fühlte sie diese unaufgetaute Unzufriedenheit in ihrem Sinn, und die jähe Aufwallung verflog, die Tränen versickerten in ihrer Seele wie Wasser im Sand. Dann beruhigte sie sich: sie besaß dennoch nicht jene Gabe zur Frömmigkeit, von der sie einmal geglaubt hatte, sie würde ihr väterliches Erbe werden. Sie war hart und sündig, aber sie war wohl nicht schlechter als die meisten, und ebenso wie die meisten mußte sie es ertragen, daß es des heißen Feuers in jener anderen Heimat bedurfte, ehe ihr Sinn geschmolzen und geläutert werden konnte.
Trotzdem sehnte sie sich dann und wann danach, anders zu sein. Wenn sie die sieben schönen Söhne betrachtete, die an ihrem Tisch saßen, wenn sie an den Feiertagen morgens zur Kirche hinaufwanderte, während die Glocken tönten und so hold zu Freude und Gottesfriede riefen, und sie die Schar schlanker, wohlgekleideter junger Burschen, ihre Söhne, vor sich den Hügel hinansteigen sah. Sie kannte kein anderes Weib, das so viele Kinder geboren hatte wie sie und nie hatte fühlen müs-sen, was es heißt, eines zu verlieren - und alle waren sie schön und gesund, ohne Fehl an Leib oder Seele, nur Björgulv war ein wenig kurzsichtig. Sie wünschte, sie könnte ihre Sorgen vergessen, mild und dankbar werden, Gott so fürchten und lieben,
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