Kristin Lavranstochter 2
von Laugarbru, wo man vor dem Wetter ein wenig geschützt war, sah man zwischen den Schneeböen einen schwarzen Klumpen von Menschen. Es ging das Gerücht, Sira Eirik habe gesagt, er wolle das Kreuz über die Brücke tragen und auf dem östlichen Flußufer aufstellen, und wenn ihm auch keiner zu folgen wage.
Als die Prozession aus der Kirche heraustrat, schlug ihr gerade eine Schneebö entgegen. Wie graue Striche fegten die Flocken durch die Luft - von der Ortschaft sah man nur einen Schimmer von Zeit zu Zeit erblickte man ein wenig von dem dunklen See, der sich auf den Wiesen gebildet hatte, treibende Wolken, die längs den Hängen und Waldzungen dahingepeitscht wurden, einen Schimmer von den Gipfeln des Gebirges gegen den Hintergrund der Wolken irgendwo hoch droben. Die Luft war erfüllt von dem ansteigenden und sinkenden Toben des Flusses, vom Brausen der Wälder und vom Heulen des Sturmes - dazwischen kam ein dumpfer Widerhall von dem Wüten des Wetters in den Bergen drinnen und dem Dröhnen niederstürzender Schneemassen.
Die Kerzen erloschen, sobald sie aus der Kirche herausgetragen wurden. Erwachsene junge Leute hatten heute die weißen Hemden der Chorknaben angetan - der Wind zerrte daran; eine ganze Schar trug die Fahne, sie hielten das Tuch des Banners mit den Händen fest, damit der Wind es nicht zerreißen sollte, während die Leute vornübergebeugt im Zug den Hang hinunter dem Unwetter entgegenstrebten. Aber über allem Tosen hörte man dann und wann ein paar Töne von Sira Eiriks lautschallender Stimme, während er sich vorwärts kämpfte und sang:
Venite: revertamur ad Dominum; quia ipse cepit et sanabit nos: percutiet, et curabit nos, et vivemus in conspectu ejus. Sciemus sequemurque, ut cognoscamus Dominum Alleluia . 1
Kristin blieb stehen, sie wie alle anderen Frauen, als die Prozession an jene Stelle kam, wo das Wasser den Weg überflutet hatte. Aber die weißgekleideten jungen Burschen, die Diakone und die Priester waren bereits auf der Brücke, und von den Männern folgten fast alle - das Wasser reichte ihnen bis an die Knie.
Die Brücke zitterte und bebte, und jetzt gewahrten die Frauen, daß von oben her ein ganzes Haus auf die Brücke zugetrieben kam. Unaufhörlich wurde es vom Strom im Kreis herumgewirbelt und dabei flußabwärts getragen; es war halb geborsten, und die Balken standen nach allen Seiten heraus, aber es hing noch zusammen. Die Frau von Uldsvolden drückte sich an Kristin Lavranstochter und schrie laut - die beiden halberwachsenen Brüder ihres Mannes befanden sich unter den Chorknaben. Kristin flehte wortlos zur Jungfrau Maria und heftete ihre Augen auf die Schar mitten auf der Brücke, wo sie Naakkves weißgekleidete Gestalt bei den Männern unterscheiden konnte, die die Fahne hielten. Trotz allem Tosen glaubten die Frauen immer noch Sira Eiriks Stimme, fast ertrunken in dem Lärm, vernehmen zu können.
Er stand auf dem höchsten Punkt der Brücke und hob das Kreuz in die Höhe, als das Haus anprallte. Die Brücke wankte und gab nach - den Menschenmassen auf beiden Ufern schien es, als neige sie sich ein wenig zur Seite. Dann ging der Zug weiter, verschwand hinter dem gewölbten Rücken der Brücke -und kam auf dem anderen Flußufer wieder zum Vorschein. Das Hauswrack hatte sich in das Gewirr des anderen Treibholzes verwickelt, das sich unter der Brücke zusammengestaut hatte.
Da, plötzlich, wie ein Wunder, sickerte silbernes Licht aus den windgepeitschten Wolkenmassen herab - der angeschwollene Fluß wurde weit und breit und mattblank wie geschmolzenes Blei, Nebel und Wolken barsten - die Sonne brach durch, und als die Prozession wieder über die Brücke zurückkam, blitzten die Strahlen am Kreuz auf; auf der nassen weißen Alba des Priesters leuchteten die im Kreuz gelegten Streifen der Stola wundervoll purpurblau auf. Das Tal lag vergoldet und feucht glitzernd wie auf dem Grund einer dunkelblauen Grotte da, denn oben rings um die Stirnen der Berge lagerten die Gewitterwolken von den Sonnenstrahlen hingedrückt und ließen die Bergweiten schwarz erscheinen; der Nebel verflüchtigte sich zwischen den Hügeln, und der große Kamm über Formo ragte, blendendweiß von Neuschnee, aus dem Dunkel der Wetterwolken empor.
Kristin hatte Naakkve Vorbeigehen sehen. Die triefend nas sen Gewänder klebten den Knaben an den Körpern, während sie aus voller Brust dem Sonnenschein entgegensangen:
Salvator mundi, salva nos otnnes. Kyrie, eleison, Christe, eleison, Christe, audi nos
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